Die Coronapandemie stellt die ganze Welt vor großen Herausforderungen. Beschäftigte im Gesundheitswesen, die tagtäglich schwer erkrankte COVID-19-Patient*innen behandeln, sind psychisch besonders stark gefordert. Viele leiden an emotionaler Erschöpfung und Burnout. Auch Depressionen, Angsterkrankungen, Schlafstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) können auftreten – mit potenziell großen Folgen für das Gesundheitssystem und die Versorgungsqualität.
In einem brasilianischen Universitätsklinikum untersuchte ein Forscherteam die Effekte des nicht-psychotropen Cannabinoids Cannabidiol (CBD) auf die mentale Gesundheit von medizinischem Personal während der Coronawelle im November 2020. Das Ergebnis der offenen Studie war erfreulich: Cannabidiol (CBD) linderte kombiniert mit der Standardbehandlung – bestehend beispielweis aus sportlichem Training und psychologischer Betreuung – emotionale Erschöpfung. Ängstliche und depressive Symptome gingen bereits nach einwöchiger Einnahme signifikant zurück. Auch Burnout kam unter CBD seltener vor.
Burnout und Erschöpfung häufig bei Gesundheitspersonal in der Coronapandemie
Medizinische Fachleute, die an vorderster Front in der Corona-Krise stehen, leiden oft an Depressionen, Angsterkrankungen, Schlaflosigkeit und posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS), wie Studien zeigten. Die psychische Gesundheit des medizinischen Personals spielt eine große Rolle für das Gesundheitssystem und die Qualität der medizinischen Versorgung insbesondere während einer weltweiten Pandemie.
Offene Studie mit 120 Beschäftigten im Gesundheitswesen
Ein internationales Forscherteam aus Brasilien, Israel, Kanada und den USA führte eine offene Parallelgruppenstudie mit 120 Mediziner*innen, Krankenpfleger*innen und Physiotherapeut*innen durch. Die Gesundheitsfachleute behandelten schwere Coronafälle am Universitätsklinikum der Ribeirão Preto Medical School der Universität von São Paulo in Brasilien.
Über E-Mails, die Krankenhaus-Homepage und soziale Medien rief das wissenschaftliche Team zur Teilnahme auf. Zwischen Juni und November 2020, mitten in der ersten Welle der COVID-19-Pandemie in Brasilien, wurden 214 Teilnehmende gefunden, von denen 120 auf beide Therapiegruppen randomisiert wurden: Von ursprünglich 61 Personen in der CBD-Gruppe nahmen 59 Beschäftigte zweimal täglich CBD für vier Wochen ein und führten die Standardbehandlung durch. Weitere 59 Personen der Vergleichsgruppe erhielten lediglich die Standardtherapie.
Die Ergebnisse von 118 Teilnehmenden wurden wissenschaftlich ausgewertet. Die meisten arbeiteten in der Intensivpflege von COVID-19-Infizierten. Zwei Teilnehmende der CBD-Gruppe brachen die Studie aufgrund schwerer Nebenwirkungen (Hautreaktion, erhöhte Leberwerte) vorzeitig ab. Nach Absetzen des Cannabinoids gingen die Nebenwirkungen vollständig zurück. Eine weitere Person schied aus der Studie aus, um an einer Impfstoffstudie teilzunehmen.
Standardtherapie: sportlicher Ausgleich, psychologische Betreuung und unterstützendes Arbeitsumfeld
Beide Gruppen erhielten eine Standardbehandlung. Mit anleitenden Videos machten die Teilnehmenden leichten Sport. Zusätzlich erfolgte eine intensive psychologische Betreuung durch wöchentliche Termine sowie bei Bedarf mit einem Psychiater oder einer Psychiaterin. Diese Person war “verblindet“, was bedeutet, dass sie nicht wusste, ob CBD eingenommen wurde oder nicht. Therapeutische Gespräche und spiritueller Beistand unterstützen die Betroffenen. Psychiater*innen bewerteten im Gespräch den Umgang mit chronischem Stress und prüften auf Anzeichen für ein Burn-out-Syndrom.
Mögliche Symptome von Burn-out:
- Energiemangel
- Erschöpfung
- Negative Gedanken bezüglich der Arbeit
- Mangelnde Effizienz bei der Arbeit
Die Teilnehmenden stuften ihre Symptome wöchentlich mithilfe von Fragebögen ein, die mit dem Handy oder Computer ausgefüllt wurden. Die Selbsteinstufung wurde vor Studienbeginn und wöchentlich während der 28-tägigen Untersuchung durchgeführt.
Zusätzlich wurde das Arbeitsumfeld angepasst: Dazu gehörten neben der persönlichen Schutzausrüstung beispielsweise veränderte Arbeitszeiten, Vergrößerung des Teams sowie regelmäßige Coronatests.
Weniger Burnout und emotionale Erschöpfung
Durch CBD nahmen die Fälle von Burn-out ab: Vor Studienbeginn hatten in der CBD-Gruppe knapp über 40 Prozent ein Burn-out-Syndrom. Nach Studienende wurde nur noch bei knapp 30 Prozent ein Burn-out festgestellt. In der Vergleichsgruppe, die lediglich Standardtherapie erhielt, stiegen die Burn-out-Fälle dagegen von knapp über 30 auf fast 40 Prozent. Der Unterschied ist jedoch statistisch nicht signifikant.
Die Emotionale Erschöpfung ging unter CBD zurück: Die Beschwerden wurden mit dem “Maslach Burn-out Inventory”, einem Selbsttest speziell für medizinisches Fachpersonal, abgefragt. Der Fragebogen liefert Werte zwischen 0 und 54, wobei höhere Zahlenwerte eine stärkere psychische Erschöpfung bedeuten. In der CBD-Gruppe fielen die Werte von anfänglich 29 nach vier Wochen auf 24 ab. Nach 2-wöchiger Therapie besserte sich die Erschöpfung deutlich. In der Vergleichsgruppe nahm hingegen die Erschöpfung leicht zu: Die Punkte kletterten von 33 auf 36.
Depressionen und Angststörungen gehen signifikant zurück
Durch CBD gingen die Fälle von Depressionen deutlich zurück. Die Stärke depressiver Beschwerden wurde mit dem Gesundheitsfragebogen PHQ (Patient Health Questionnaire) abgefragt. Auf einer Skala von 0 bis 27 Punkten bedeuteten höhere Werte eine stärkere Depressivität. Eine depressive Erkrankung liegt bei einem PHQ-Score größer 9. CBD konnte depressive Symptome bei über der Hälfte der Betroffenen signifikant lindern: Der Anteil der Betroffenen mit Diagnose einer Depression fiel von anfänglichen 46 auf 22 Prozent. In der Vergleichsgruppe dagegen stiegen die Diagnosen von 48 auf 51 Prozent leicht an. Die antidepressive Wirkung von CBD setzte schnell ein: Bereits nach einer Woche fiel der PHQ-Score statistisch signifikant von etwa 9 auf unter 7 ab und bliebt während der ganzen Studie niedrig. In der Vergleichsgruppe blieb der PHQ-Score von anfänglich knapp über 10 nahezu unverändert.
CBD lindert signifikant generalisierte Angststörungen: Die Angst wurde mit dem Fragebogen GAD (Generalized Anxiety Disorder) mit Werten zwischen 0 und 21 eingestuft, wobei höhere Zahlenwerte stärkeren Ängsten entsprechen. Ab einer GAD größer 7 sprechen Fachleute von einer generalisierten Angststörung. In der CBD-Gruppe ging der Anteil der Betroffenen mit generalisierter Angststörung signifikant zurück: Von anfänglich 46 Prozent gingen die Angststörungen nach Studienende auf 17 Prozent zurück. Damit konnte CBD den Anteil generalisierter Angststörungen auf fast ein Drittel reduzieren. In der Vergleichsgruppe blieb die Zahl der Fälle von Angststörungen von anfänglich etwa 43 Prozent nahezu unverändert. Angstlösende Effekte setzen ebenfalls rasch ein. Bereits nach einwöchiger Behandlung ging der GAD-Score von anfänglich etwa 9 auf um die 6 zurück und linderte die Angst anhaltend.
Nebenwirkungen meist leicht und vorübergehend
In beiden Therapiegruppen kam es zu unerwünschten Effekten. In der CBD-Gruppe wurde über Schläfrigkeit (25,4 %) und Fatigue (22,9 %) berichtet. Durchfall, Gewichtszunahme sowie Lethargie kamen ebenfalls vor. Bezüglich unerwünschter Effekte konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen festgestellt werden. Lediglich Appetitsteigerung kam bei den Personen, die nur die Standardtherapie erhielten, häufiger vor.
Unter CBD traten jedoch bei fünf Personen schwere Nebenwirkungen auf: In zwei Fällen handelte es sich um eine Hautreaktion, die bei einer Person einen Studienabbruch nötig machte. Erhöhte Leberwerte wurden bei drei Personen festgestellt, wovon eine ebenfalls aus der Studie ausscheiden musste. Alle Nebenwirkungen gingen nach Studienende vollständig zurück. Daher sollte die Einnahme von CBD ärztlich überwacht werden.
CBD ohne Einfluss auf Entzündungsmediatoren
Erhöhte Entzündungswerte an Interleukin-1-Beta im Blut können mit psychischen Belastungen wie Burn-out, Depressionen und stressbedingten Erkrankungen verbunden sein. In der Studie zeigte sich ein Zusammenhang zwischen erhöhten Entzündungswerten und Burn-out-Syndrom. Obwohl CBD entzündungshemmend wirkt, stieg der Interleukin-1-Beta-Wert durch den psychischen Stress an. Weiterführende Untersuchungen sind notwendig, um die Frage zu klären, inwiefern die entzündungshemmende Wirkung von CBD bei psychischen Erkrankungen eine Rolle spielt.
Die Studie hat jedoch laut dem Forscherteam auch schwächen. So war es keine Doppelblindstudie, diese wurde vonseiten der Ethikkommission abgelehnt aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen, die bei der Arbeit mit COVID-19-Infizierten nötig ist. Wegen der kurzen Nachbeobachtungszeit, der Einnahme einer einzigen festen CBD-Dosierung und der Durchführung in nur einem Krankenhaus, sind die positiven Effekte nicht zwingend auf COVID-19-Kliniken in anderen Ländern übertragbar. In Zukunft sind also breit angelegte Doppelblindstudien nötig.
Quelle:
Crippa JAS, Zuardi AW, Guimarães FS, et al. Efficacy and Safety of Cannabidiol Plus Standard Care vs Standard Care Alone for the Treatment of Emotional Exhaustion and Burnout Among Frontline Health Care Workers During the COVID-19 Pandemic: A Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open. 2021;4(8):e2120603. Published 2021 Aug 2. doi:10.1001/jamanetworkopen.2021.20603