Wie andere Medikamente, kann auch medizinisches Cannabis Nebenwirkungen hervorrufen. Diese werden hauptsächlich durch den Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC), dem wichtigsten psychotropen Cannabinoid, ausgelöst. Das nicht berauschende Cannabidiol (CBD) gilt als gut verträglich, kann jedoch auch unerwünschte Effekte hervorbringen.
Im Vergleich zu vielen anderen Arzneimitteln ist Cannabis gut verträglich: Beachtet der verschreibende Arzt bzw. die Ärztin mögliche Risikofaktoren sowie Gegenanzeigen (Kontraindikationen) und vertragen Patient*innen das cannabis-basierte Medikament gut, besteht auch in der Dauertherapie kein Risiko für Organschäden.
Ungewöhnliche Sicherheit von Cannabinoiden
Ein großer Vorteil des therapeutischen Einsatzes von Medizinalcannabis ist die im Vergleich zu vielen anderen Arzneimitteln ungewöhnlich hohe Sicherheit von Cannabinoiden. So sind bisher keine lebensbedrohlichen Nebenwirkungen oder gar tödliche Folgen durch alleinige Einnahme von Cannabis bei Menschen bekannt. Überdosierungen sind allenfalls unangenehm, aber zu keinem Zeitpunkt gefährlich.
Grund für die hohe Sicherheit ist, dass Gehirnregionen, die grundlegende Vitalfunktionen wie Atmung und Herztätigkeit steuern, kaum Cannabinoid-Rezeptoren besitzen . Wird Medizinalcannabis unter Berücksichtigung von Kontraindikationen sowie Risikofaktoren verschrieben und vertragen die Betroffenen die Medikation gut, besteht auch bei einer Langzeitbehandlung keine Gefahr für Organschäden, etwa an Leber, Nieren, Magen oder Gehirn. Um die Atemwege zu schonen, wird vom Rauchen von Joints abgeraten. Stattdessen wird die Inhalation mit einem Vaporisator empfohlen, da hierbei keine Verbrennung stattfindet [2].
Da THC auf das Herzkreislauf-System wirkt (Herzrasen, Blutdruckabfall), sollte Medizinalcannabis bei Patient*innen mit kardiovaskulären Erkrankungen jedoch mit Vorsicht eingesetzt werden [3].
Gegenanzeigen und Vorsichtsmaßnahmen bei der Verschreibung von Cannabinoiden [3]:
Kontrarindikationen: | Vorsicht bei: |
* Überempfindlichkeit gegen Bestandteile des Cannabisarzneimittels * Schwere Persönlichkeitsstörungen und psychotische Erkrankungen | * Schwangerschaft und Stillzeit (mögliche kindliche Entwicklungsstörungen) * Kinder und Jugendliche * Schweren Herzkreislauf-Erkrankungen * Suchterkrankungen *Ältere Menschen ( höhere Empfindlichkeit gegenüber psychotropen und kardiovaskulären Nebenwirkungen) * Polymedikation ( erhöhtes Risiko für Wechselwirkungen) |
Akute Wirkungen und Nebenwirkungen
Tetrahydrocannabinol (THC) [3]:
Geistige (psychische) Wirkungen: | Körperliche (physische) Wirkungen: |
*Steigerung des Wohlbefindens mit Entspannung * Steigerung der sensorischen Wahrnehmung * Angst * gelegentlich Panik * Störungen der Zeitwahrnehmung * Euphorie * Gedächtnisstörungen * Beeinträchtigung der psychomotorischen Leistungsfähigkeit * Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit | * Müdigkeit * Schwindel * Herzrasen (Tachykardie) * Hypertonie * Orthostatische Hypotension (Blutdruckabfall nach Lagewechsel, z.B. nach Aufstehen) * Mundtrockenheit *Reduktion des Tränenflusses * Muskelrelaxation * Appetitsteigerung |
Cannabidiol (CBD) [4]:
Bisherige Studien am Menschen ergaben eine gute Verträglichkeit von CBD als Arzneimittel. Allerdings ist auch nicht-psychotropes CBD nicht völlig frei von Nebenwirkungen. Bei Menschen, die CBD in hoher Dosierung zur Behandlung von Epilepsien und psychotischen Erkrankungen erhalten, wurden Magen-Darm-Beschwerden wie Verstopfung, Durchfall und Erbrechen beobachtet. Die Nebenwirkungen von CBD sind dosisabhängig. So wurden Durchfall und Appetitverlust eher bei höheren Dosierungen beobachtet. Auch Müdigkeit und Schläfrigkeit treten in Abhängigkeit von der Dosierung auf. Andere auf das zentrale Nervensystem dämpfend wirkende Medikamente wie Antiepileptika können diese Nebenwirkungen verstärken [11].
Einige Nebenwirkungen von CBD sind [4] [11]:
- Magen-Darm-Beschwerden (z.B. Verstopfung, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Appetit- und Gewichtsverlust)
- Müdigkeit, Schläfrigkeit
- Erhöhung der Leberwerte
Die meisten Cannabispatient*innen empfinden die Wirkung ihres Medikaments als positiv. THC und CBD reduzieren Schmerzempfinden, wirken entspannend und steigern das allgemeine Wohlbefinden. Wie die Betroffenen die Nebenwirkungen empfinden, ist subjektiv. Beispielsweise kann die durch das psychotrope THC ausgelöste Appetitsteigerung in einem Fall als unangenehm empfunden werden, während andere Patient*innen gerade diese Wirkung suchen.
Medizinisches Cannabis ist gut verträglich. Innerhalb von Tagen und Wochen entwickelt sich eine Toleranz gegen viele unerwünschte akute Effekte. Vor allem Müdigkeit, Schwindel und das Herzkreislaufsystem sowie die Psyche betreffende Nebenwirkungen gehen zurück [3]. Im Rahmen der Begleiterhebung der Cannabispatient*innen mit einer Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung wurde vor allem von Müdigkeit (15,0 %) und Schwindel (10,4 %) berichtet [5].
Schwangerschaft und Stillzeit
Ein wissenschaftliches Team der Queens University in Kanada führte 2020 eine umfassende Literaturrecherche zu Cannabiskonsum in Schwangerschaft und Stillzeit sowie zur Wirkung gegen Schwangerschaftserbrechen (Emesis gravidarum) durch. Sie kamen zum Ergebnis, dass Cannabinoide während der Schwangerschaft zu langfristigen Entwicklungsstörungen beim Kind führen können, die zum Teil bis ins junge Erwachsenenalter anhalten. Im Kleinkindalter wurde beispielsweise Hyperaktivität, Impulsivität und eine reduzierte Aufmerksamkeit beobachtet. Im Schulalter entwickeln manche Kinder ängstliche und depressive Symptome. Ein früher Einstieg in den Cannabiskonsum wurde ebenfalls beobachtet.
Auch wenn THC akute Übelkeit und Erbrechen wirksam behandeln kann, sollten Schwangere keine Cannabinoide einsetzen. Überraschenderweise gibt es Hinweise darauf, dass Frauen, die schon vor der Empfängnis Cannabis verwendeten, während der Schwangerschaft vermehrt an Übelkeit und Erbrechen leiden. Bei chronischem Cannabiskonsum steigt darüber hinaus das Risiko für die Entwicklung eines Cannabis-Hyperemesis-Syndroms [6]. Zur Therapie von Übelkeit und Erbrechen in der Schwangerschaft gibt es besser untersuchte Medikamente wie beispielsweise Antihistaminika oder Vitamin B6 [7].
Aufgrund der ausgeprägten Fettlöslichkeit von THC geht der Wirkstoff in die Muttermilch über. Bei starkem Cannabisgebrauch kann die THC-Konzentration in der Milch ein Achtel des Wertes im mütterlichen Blut betragen. THC und seine Abbauprodukte sind im kindlichen Urin nachweisbar. Da es bisher nur wenig Studien zu den Risiken für das Kind gibt, raten die meisten Fachleute von Medizinalcannabis in der Stillzeit ab [6].
Medizinisches Cannabis sollte bei schwangeren und stillenden Frauen nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung angewendet werden.
Psychose und Schizophrenie
Starker Cannabiskonsum zu Freizeitzwecken kann in seltenen Fällen eine Psychose oder Schizophrenie auslösen. Eine schwedische Beobachtungsstudie aus dem Jahr 1987 kam zum Ergebnis, dass sechs Prozent der starken freizeitlichen Cannabiskonsumenten eine Schizophrenie entwickeln. Dies scheint vor allem Personen zu betreffen, die eine genetische Veranlagung (Prädisposition) für die Entwicklung von psychiatrischen Erkrankungen haben. Cannabisgebrauch verdoppelt das Psychose-Risiko bei genetisch vorbelasteten Personen [8].
Untersuchungen zeigten, dass Schizophrenie-Patient*innen erhöhte Spiegel des Endocannabinoids Anandamid und eine höhere Dichte an CB1-Rezeptoren in bestimmten Gehirnregionen aufweisen. Diese Theorie wird durch die Tatsache gestützt, dass Dopamin-Antagonisten und das nicht-psychotrope Cannabinoid CBD, welches hemmend auf CB1-Rezeptoren wird, antipsychotisch wirken [9]. Sind also bereits Fälle von Psychosen und Schizophrenie in der Familie bekannt, sollte medizinisches Cannabis mit Vorsicht verordnet und angewendet werden. Bei schweren Persönlichkeitsstörungen und psychotischen Erkrankungen, auch in der medizinischen Vorgeschichte, sollte Medizinalcannabis nicht eingesetzt werden [4].
Bei einer ärztlich begleitenden Cannabistherapie sind Psychosen bislang nur selten beobachtet worden. Daten aus der Begleiterhebung (April 2017 bis Mai 2020) der Cannabispatient*innen mit einer Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung zeigen, dass diese Nebenwirkungen selten sind: Halluzinationen traten demnach bei 0,8 Prozent, Wahnvorstellungen bei 0,4 Prozent und Dissoziation bei 0,2 Prozent der Betroffenen auf [5].
Abhängigkeit und Entzug
Bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis reduziert sich die Empfindlichkeit und die Anzahl der CB1-Rezeptoren, welche die psychotropen Effekte von THC vermitteln. Beim Beenden der Cannabisanwendung beginnen sich die Rezeptoren nach 2 Tagen zu regenerieren und kehren innerhalb von vier Wochen zur normalen Funktion zurück [10]. Nach Beenden eines starken Cannabiskonsums kann es zu Entzugssymptomen wie innerer Unruhe, vermehrtem Schwitzen, Reizbarkeit, Schlaflosigkeit und Appetitlosigkeit kommen [3] Besonders problematisch ist das Rauchen von Cannabis mit Tabak, da sich gleichzeitig eine Nikotinabhängigkeit entwickelt. Dadurch steigt das Abhängigkeitspotenzial und das Risiko für schädliche Wirkungen des Cannabis [12] [13]. Eine 2020 veröffentlichte Studie zeigte außerdem, dass Tabak- und Cannabiskonsument*innen wesentlich mehr Schadstoffe aufnehmen [14].
Bei einer kontrollierten Anwendung von Medizinalcannabis in therapeutischen Dosen stellen Entzugssymptome meist kein Problem dar [3]. In der Begleiterhebung war Sucht und Abhängigkeit mit 0,1 Prozent ein der am seltensten gemeldeten Nebenwirkungen [5].
Fazit
Medizinisches Cannabis kann Nebenwirkungen hervorrufen. Mit einer individuell angepassten Cannabinoidtherapie sind diese jedoch meist gut beherrschbar. Beim therapeutischen Einsatz kommt zunächst eine niedrige Dosierung zum Einsatz, die nach ärztlicher Absprache je nach Beschwerdelinderung und Verträglichkeit gesteigert wird, bis die optimale Menge erreicht ist. Psychotrope Wirkungen von THC können außerdem durch Kombination mit CBD sowie Terpenen reduziert werden [15].
Da Medizinalcannabis selbst bei gleichem Cannabinoid- und Terpengehalt bei jeder Person anders wirkt, sollten Cannabispatient*innen zusammen mit dem behandelnden Arzt bzw. der Ärztin das im Einzelfall optimale Cannabinoidprofil und die passende Dosierung finden. Auch wichtig ist eine engmaschige Verlaufskontrolle: Eine 2021 veröffentlichte kanadische Beobachtungsstudie zeigte, dass viele Betroffene im Therapieverlauf ihr Cannabismedikament wechselten [16].
[1] Padley JR, Li Q, Pilowsky PM, Goodchild AK. Cannabinoid receptor activation in the rostral medulla oblongata evokes cardiorespiratory effects in anaesthetised rats. Br J Pharmacol. 2003;140(2):384-394. doi:10.1038/sj.bjp.0705422
[2] Cohen K, Weizman A, Weinstein A. Positive and Negative Effects of Cannabis and Cannabinoids on Health. Clin Pharmacol Ther. 2019 May;105(5):1139-1147. doi: 10.1002/cpt.1381. Epub 2019 Mar 12. PMID: 30703255.
[3] Das therapeutische Potenzial von Cannabis und Cannabinoiden The therapeutic potential of cannabis and cannabinoids Dtsch Arztebl Int 2012; 109(29-30): 495-501; DOI: 10.3238/arztebl.2012.0495
[4] Cannabisbasierte Arzneimittel: Therapieoption für die Psyche Dtsch Arztebl 2021; 118(10): A-512 / B-431 Willen, Christine
[5] Schmidt-Wolf, G., Cremer-Schaeffer, P. 3 Jahre Cannabis als Medizin – Zwischenergebnisse der Cannabisbegleiterhebung. Bundesgesundheitsbl 64, 368–377 (2021). https://doi.org/10.1007/s00103-021-03285-1
[6] Badowski S, Smith G. Cannabis use during pregnancy and postpartum. Can Fam Physician. 2020 Feb;66(2):98-103. PMID: 32060189; PMCID: PMC7021337.
[7] Erbrechen in der Schwangerschaft Nausea and vomiting in pregnancy Dtsch Arztebl 2007; 104(25): A-1821 / B-1604 / C-1544 Mylonas, Ioannis; Gingelmaier, Andrea; Kainer, Franz
[8] Müller-Vahl KR, Emrich HM. Cannabis and schizophrenia: towards a cannabinoid hypothesis of schizophrenia. Expert Rev Neurother 2008;8(7):1037-48.
[9] Ortiz-Medina MB, Perea M, Torales J, Ventriglio A, Vitrani G, Aguilar L, Roncero C. Cannabis consumption and psychosis or schizophrenia development. Int J Soc Psychiatry. 2018 Nov;64(7):690-704. doi: 10.1177/0020764018801690. PMID: 30442059.
[10] Bonnet U, Preuss UW. The cannabis withdrawal syndrome: current insights. Subst Abuse Rehabil. 2017;8:9-37 https://doi.org/10.2147/SAR.S109576
[11] Huestis, Marilyn A et al. “Cannabidiol Adverse Effects and Toxicity.” Current neuropharmacology vol. 17,10 (2019): 974-989. doi:10.2174/1570159X17666190603171901
[12] Nutt D, King LA, Saulsbury W, Blakemore C. Development of a rational scale to assess the harm of drugs of potential misuse. Lancet. 2007 Mar 24;369(9566):1047-53. doi: 10.1016/S0140-6736(07)60464-4. PMID: 17382831.
[13] Hindocha C, Shaban ND, Freeman TP, et al. Associations between cigarette smoking and cannabis dependence: a longitudinal study of young cannabis users in the United Kingdom. Drug Alcohol Depend. 2015;148:165-171. doi:10.1016/j.drugalcdep.2015.01.004
[14] Meier, Ellen et al. “Cigarette Smokers Versus Cousers of Cannabis and Cigarettes: Exposure to Toxicants.” Nicotine & tobacco research : official journal of the Society for Research on Nicotine and Tobacco vol. 22,8 (2020): 1383-1389. doi:10.1093/ntr/ntz199
[15] Boggs DL, Nguyen JD, Morgenson D, Taffe MA, Ranganathan M. Clinical and Preclinical Evidence for Functional Interactions of Cannabidiol and Δ9-Tetrahydrocannabinol. Neuropsychopharmacology. 2018;43(1):142-154. doi:10.1038/npp.2017.209
[16] Kalaba M, MacNair L, Peters EN, Eglit GML, Rapin L, El Hage C, Prosk E, Ware MA. Authorization Patterns, Safety, and Effectiveness of Medical Cannabis in Quebec. Cannabis Cannabinoid Res. 2021 May 10. doi: 10.1089/can.2020.0140. Epub ahead of print. PMID: 33998902.
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