Cannabinoide
Cannabinoide sind chemische Wirkstoffe, die mit Rezeptoren des Endocannabinoid-Systems in Wechselwirkung treten. Je nach Ursprung werden drei Typen unterschieden: Endocannabinoide wie Anandamid, werden vom Körper selbst produziert und üben physiologische Prozesse aus [1]. Phytocannabinoide, wie Tetrahydrocannabinol (THC) oder Cannabidiol (CBD) sind pflanzlichen Ursprungs. Synthetische Cannabinoide wie Dronabinol, werden teil- oder vollsynthetisch gewonnen.
Wie wirken Cannabinoide?
Cannabinoide interagieren mit dem Endocannabinoid-System (ECS) über Cannabinoid-Rezeptoren, von denen CB1 und CB2 unterschieden werden. Diese werden in unterschiedlicher Verteilung im zentralen Nervensystem und auf peripheren Organen und Geweben ausgebildet. Cannabinoid-Rezeptoren gehören zur Klasse der G-Protein gekoppelten Rezeptoren und befinden sich auf Zelloberflächen. Endocannabinoide wirken als sogenannte retrograde Neurotransmitter. Sie werden bei Bedarf, also einer Überaktivität der Zelle, von der postsynaptischen Zelle (nachgeschaltete Nervenzelle) freigesetzt und aktivieren auf der Präsynapse befindliche Cannabinoid-Rezeptoren. Dadurch wird eine Signalkaskade aktiviert, die zu einer verminderten Ausschüttung von Botenstoffen führt. Endocannabinoide beeinflussen also die Aktivität anderer – sowohl hemmender als auch stimulierender – Botenstoffe [1]. Mit exogenen Cannabinoiden, zu denen Phytocannabinoide und synthetische Cannabinoide gehören, kann regulierend auf das Endocannabinoid-System eingewirkt werden.
Neben Cannabinoid-Rezeptoren binden Phytocannabinoide – insbesondere Cannabidiol (CBD) – noch an viele weitere Zielstrukturen. Dazu gehören die verwaisten Rezeptoren (orphan receptors) GPR55, GPR18 und GPR119. Auch auf Serotoninrezeptoren (5HT1A, 5HT2A), Adenosinrezeptoren (A2A), Opioidrezeptoren (DOR, MOR) und Dopaminrezeptoren (D2) können Cannabinoide Einfluss nehmen. Darüber hinaus wirken Cannabinoide auch auf Ionenkanäle ein, von denen TRPV-Kanäle am wichtigsten sind [2].
Durch Wirkung an so vielen Angriffspunkten werden unterschiedliche biologische Effekte ausgelöst. So werden beispielsweise Schmerz, Schlaf, Emotionen und Körpertemperatur durch das ECS reguliert. Daher ist das ECS für die Gesundheit des Körpers so wichtig.
Infografiken zur Wirkungsweise von Cannabinoiden
Endocannabinoide
Endocannabinoide sind endogene, also vom Körper selbst produzierte Botenstoffe, die über Cannabinoidrezeptoren mit dem Endocannabinoid-System (ECS) in Wechselwirkung treten. Die beiden wichtigsten Endocannabinoide sind Anandamid (Arachidonylethanolamid) und 2-Arachidonoylglycerol (2-AG). Es sind weitere Endocannabinoide wie beispielsweise Virodhamin beschrieben, die jedoch nur schwach an Cannabinoid-Rezeptoren binden und eine geringere Wirkung ausüben.
In Gegensatz zu vielen anderen Botenstoffen werden Endocannabinoide nicht im Körper gespeichert. Die werden bei Bedarf vom Körper durch bestimmte Enzyme gebildet und nachdem sie ihre Wirkung ausgeübt haben, an Ort und Stelle durch abbauende Enzyme wie die FAAH (Fettsäureamid-Hydrolase) inaktiviert [1].
Seit der erstmaligen Entdeckung von Anandamid 1992 [4] nahm das Wissen zur Bedeutung der Endocannabinoiden für verschiedene physiologische Prozesse deutlich zu. Das Endocannabinoid-System steuert im Wesentlichen die drei grundlegenden Prozesse: Neutrotransmittersystem, Immunsystem und Hormonsystem
Bekannte Endocannabinoide:
- Arachidonylethanolamid (AEA, Anandamid)
- 2-Arachidonoylglycerol (2-AG)
- Arachidonylglycerylether (2-AGE, Noladin-Ether) [5]
- O-Arachidonylethanolamid (Virodhamin) [6]
- N-Arachidonyl-Dopamin (NADA) [7]
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Phytocannabinoide
Die Cannabispflanze enthält etwa 500 verschiedene Bestandteile, von denen bisher 144 als Phytocannabinoide identifiziert wurden [8]. Die therapeutisch am besten erforschten Cannabinoide sind Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Zunehmend werden auch andere Cannabinoide wie Tetrahydrocannabivarin (THCV) oder Cannabigerol (CBG) erforscht. In präklinischen und ersten Studien am Menschen zeigten sich verschiedene pharmakologische und therapeutische Eigenschaften [9].
In der Cannabispflanze liegen Phytocannabinoide zunächst als Säureform vor. Bei Phytocannabinoiden handelt es sich chemisch gesehen um Phenole. Tetrahydrocannabinol (THC) liegt als Tetrahydrocannabinolsäure (THCA) vor, welches keine psychotrope Wirkung besitzt. Erst durch Wärmezufuhr spaltet sich ein Molekül Kohlendioxid ab und es bildet sich aktives THC. Dieser Vorgang wird Decarboxylierung genannt und geschieht durch Erhitzen, wie das beispielsweise beim Vaporisieren, Backen oder der pharmazeutischen Extraktherstellung geschieht [10].
Neben Cannabinoiden enthält die Cannabispflanze noch eine Vielzahl weiterer Inhaltsstoffe. Besonders wichtig sind Terpene, von denen bisher 120 in der Cannabispflanze identifiziert wurden. Terpene sind für Geruch und Geschmack der Cannabispflanze verantwortlich und beeinflussen die Wirkung von Cannabinoiden. Andere Pflanzeninhaltsstoffe sind Flavonoide, Alkaloide und nicht-cannabinoide Phenole, die noch auf ihren therapeutischen Nutzen untersucht werden müssen. Durch umfassende Forschung werden immer mehr Inhaltsstoffe in Cannabis entdeckt. Eine Übersichtsarbeit von Mai 2021 fasste das aktuelle Wissen zu 323 Inhaltsstoffen zusammen. Alleine 12 der Komponenten wurden in den letzten Jahren neu entdeckt, darunter fünf Phytocannabinoide und jeweils drei Terpene sowie Flavonoide [11].
Entourage-Effekt von Cannabinoiden
Die Vielzahl an Inhaltsstoffen der Cannabispflanze können in Wechselwirkung treten. Die pharmakologische Wirkung kann synergistisch (verstärkend) oder antagonistisch (hemmend) sein. Forschungen ergaben, dass Zubereitungen aus der ganzen Cannabispflanze besser wirksam und verträglicher sind als isolierte Cannabinoide wie reines Tetrahydrocannabinol.
Dieser Effekt wird als “Entourage-Effekt” bezeichnet und wurde erstmals 1998 vom israelischen Chemiker Raphael Mechoulam beschrieben [12]. Als Intra-Entourage-Effekt werden Wechselwirkungen zwischen Cannabinoiden bezeichnet. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Kombination von Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol, wodurch zum einem die Bioverfügbarkeit von THC zunimmt und zum anderen psychotrope Nebenwirkungen abnehmen. Inter-Entourage-Effekt bezeichnet Wechselwirkungen zwischen Cannabinoiden und anderen Pflanzeninhaltsstoffen wie Terpene und Flavonoide [13].
Es ist noch viel Forschung nötig, um die Auswirkungen des Entourage-Effekts verstehen zu können. Durch Kenntnis der Wirkung einzelner Bestandteile kann die gewünschte synergistische Wirkung individuell auf die Symptome und Erkrankung angepasst werden [14]. So fand eine Studie im Jahr 2018 heraus, dass Betroffene mit Schmerzen vor allem THC-reiche Cannnabissorten mit hohem Beta-Caryophyllen- und Myrcengehalt bevorzugen [15].
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Synthetische Cannabinoide
Synthetische Cannabinoide sind, wie der Name verrät, vollsynthetischen oder teilsynthetischen Ursprungs. Die Wirkstoffe werden durch chemische Reaktionen so optimiert, dass sie – genauso wie Phytocannabinoide – an CB1- und CB2-Rezeptoren binden und dadurch mit dem Endocannabinoid-System in Wechselwirkung treten. Die Wirkung von synthetischen Cannabinoiden unterscheidet sich von denen der Phytocannabinoide.
Die ersten synthetischen Cannabinoide wurden in den 70er-Jahren entwickelt um die Abläufe im Endocannabinoid-System genauer zu erforschen und möglicherweise besser wirksame Substanzen als die Phytocannabinoide zu finden [16].
Nabilon ist ein vollsynthetischer chemischer Abkömmling von THC und Dronabinol. Voll- bzw. teilsynthetisches THC wird medizinisch zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Chemotherapie eingesetzt [17]. Wegen der appetitsteigernden Wirkung kommt Dronabinol bei Appetitlosigkeit (Anorexie) beispielsweise bei HIV-infizierten Personen zum Einsatz [18].
Quellenverzeichnis
[1] Balezina, O.P., Tarasova, E.O. & Gaydukov, A.E. Noncanonical Activity of Endocannabinoids and Their Receptors in Central and Peripheral Synapses. Biochemistry Moscow 86, 818–832 (2021). https://doi.org/10.1134/S0006297921070038
[2] de Almeida DL, Devi LA. Diversity of molecular targets and signaling pathways for CBD. Pharmacol Res Perspect. 2020 Dec;8(6):e00682. doi: 10.1002/prp2.682. PMID: 33169541; PMCID: PMC7652785.
[3] Britch, S.C., Babalonis, S. & Walsh, S.L. Cannabidiol: pharmacology and therapeutic targets. Psychopharmacology 238, 9–28 (2021). https://doi.org/10.1007/s00213-020-05712-8
[4] Isolation and structure of a brain constituent that binds to the cannabinoid receptor
BY WA DEVANE, L HANUS, A BREUER, RG PERTWEE, LA STEVENSON, G GRIFFIN, D GIBSON, A MANDELBAUM, A ETINGER, R MECHOULAM SCIENCE18 DEC 1992 : 1946-1949
[5] 2-Arachidonyl glyceryl ether, an endogenous agonist of the cannabinoid CB1 receptor Lumír Hanuš, Saleh Abu-Lafi, Ester Fride, Aviva Breuer, Zvi Vogel, Deborah E. Shalev, Irina Kustanovich, Raphael Mechoulam Proceedings of the National Academy of Sciences Mar 2001, 98 (7) 3662-3665; DOI: 10.1073/pnas.061029898
[6] Characterization of a Novel Endocannabinoid, Virodhamine, with Antagonist Activity at the CB1 Receptor Amy C. Porter, John-Michael Sauer, Michael D. Knierman, Gerald W. Becker, Michael J. Berna, Jingqi Bao, George G. Nomikos, Petra Carter, Frank P. Bymaster, Andrea Baker Leese and Christian C. Felder Journal of Pharmacology and Experimental Therapeutics June 2002, 301 (3) 1020-1024; DOI: https://doi.org/10.1124/jpet.301.3.1020
[7] Tiziana BISOGNO, Dominique MELCK, Mikhail Yu. BOBROV, Natalia M. GRETSKAYA, Vladimir V. BEZUGLOV, Luciano DE PETROCELLIS, Vincenzo DI MARZO; N-acyl-dopamines: novel synthetic CB1 cannabinoid-receptor ligands and inhibitors of anandamide inactivation with cannabimimetic activity in vitro and in vivo. Biochem J 1 November 2000; 351 (3): 817–824. doi: https://doi.org/10.1042/bj3510817
[8] Freeman T P, Hindocha C, Green S F, Bloomfield M A P. Medicinal use of cannabis based products and cannabinoids BMJ 2019; 365 :l1141 doi:10.1136/bmj.l1141
[9] Salami SA, Martinelli F, Giovino A, Bachari A, Arad N, Mantri N. It Is Our Turn to Get Cannabis High: Put Cannabinoids in Food and Health Baskets. Molecules. 2020;25(18):4036. Published 2020 Sep 4. doi:10.3390/molecules25184036
[10] Sharma P, Murthy P, Bharath MM. Chemistry, metabolism, and toxicology of cannabis: clinical implications. Iran J Psychiatry. 2012;7(4):149-156.
[11] Radwan MM, Chandra S, Gul S, ElSohly MA. Cannabinoids, Phenolics, Terpenes and Alkaloids of Cannabis. Molecules. 2021 May 8;26(9):2774. doi:10.3390/molecules26092774. PMID: 34066753; PMCID: PMC8125862.
[12] Russo EB. Taming THC: potential cannabis synergy and phytocanna- binoid-terpenoid entourage effects. Br J Pharmacol. 2011;163(7):1344-64.
[13] Koltai H, Namdar D. Cannabis Phytomolecule ‚Entourage‘: From Domestication to Medical Use. Trends Plant Sci. 2020 Oct;25(10):976-984. doi: 10.1016/j.tplants.2020.04.007. Epub2020 May 13. PMID: 32417167.
[14] Anand U, Pacchetti B, Anand P, Sodergren MH. Cannabis-based medicines and pain: a review of potential synergistic and entourage effects. Pain Manag. 2021 Apr;11(4):395-403. doi:10.2217/pmt-2020-0110. Epub 2021 Mar 11. PMID: 33703917.
[15] Baron EP. Medicinal Properties of Cannabinoids, Terpenes, and Flavonoids in Cannabis, and Benefits in Migraine, Headache, and Pain: An Update on Current Evidence and Cannabis Science. Headache. 2018 Jul;58(7):1139-1186. doi: 10.1111/head.13345. PMID: 30152161.
[16] Montgomery BJ. High interest in medical uses of marijuana and synthetic analogues. JAMA. 1978;240(14):1469–1470. doi:10.1001/jama.1978.03290140011001
[17] Steele N, Gralla RJ, Braun DW Jr, Young CW. Double-blind comparison of the antiemetic effects of nabilone and prochlorperazine on chemotherapy-induced emesis. Cancer Treat Rep. 1980 Feb-Mar;64(2-3):219-24. PMID: 6250699.
[18] O’Donnell B, Meissner H, Gupta V. Dronabinol. [Updated 2021 Feb 6]. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2021 Jan-. Available from: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK557531/
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