Cannabis als Medizin: die Geschichte im Überblick
Cannabis begleitet die Menschheit schon seit Tausenden von Jahren und wird in vielen Kulturen für therapeutische und spirituelle Zwecke genutzt. Im 19. Jahrhundert erfahren pharmazeutische Cannabisprodukte ihren Höhepunkt in Europa und werden unter anderem zur Behandlung von Schlafstörungen, Schmerzen, Spasmen und Depressionen verwendet. Selbst kleine Ortsapotheken führen zu dieser Zeit Cannabistinkturen und Cannabisextrakte. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts endet das Interesse und hat erst wieder in den letzten Jahrzehnten zugenommen.
Erste Belege für den medizinischen Einsatz von Cannabis
Die ersten Aufzeichnungen über die medizinische Verwendung von Cannabis stammen aus dem Jahr 2.700 v. Chr. aus dem prähistorischen China. Dort wird es erwähnt in dem Arzneibuch des Kaisers Shen-Nung, der zugleich als einer der Väter der chinesischen Medizin gilt.
In Indien wird Hanf schon zu vedischer Zeit als Heilmittel verwendet und taucht in alten Schriften auf. Und in Ägypten ist die Präsenz von Cannabis seit circa 1.500 vor Christus belegt, es gibt aber bereits frühere Hinweise auf den medizinischen Einsatz der Pflanze.
Cannabis erscheint unter verschiedenen Bezeichnungen und wird vielseitig verwendet: Zur Behandlung von Schmerzen, Augenleiden, Schwellungen oder Quetschungen. Es wird zur Linderung depressiver Zustände empfohlen, soll bei Stimmungsschwankungen helfen wie auch gegen Impotenz und verschiedene Frauenleiden.
Cannabis in der Antike
In der antiken Medizin der arabischen Welt besitzt Cannabis eine große Bedeutung. So erwähnt beispielsweise der Vater der arabischen Medizin, Avicenna, die Pflanze in seiner etwa um 1.000 v. Chr. entstandenen Schrift „Canon medicinae“. Diese Arzneimittellehre galt auch in Europa noch bis ins 15. Jahrhundert hinein als wegweisendes Werk der Medizin.
Im 13. Jahrhundert beginnt mit dem politischen Ende des arabisch-islamischen Reiches auch der Niedergang der arabisch-orientalischen Medizin. Aber auch im mittelalterlichen Europa genießt die Hanfpflanze großes Ansehen. Die deutsche Äbtissin Hildegard von Bingen beschreibt sie als wertvoll und empfiehlt Hanf beispielsweise gegen Kopfschmerzen.
Cannabis als Teil der westlichen Medizin im 18. und 19. Jahrhundert
Cannabis ist Teil der westlichen Medizin im 18. Jahrhundert, um verschiedene Symptome zu lindern. Allerdings werden, wie bereits in den vorangegangenen Epochen, fast ausschließlich der Samen von Cannabis sativa in Form von Öl oder einer Emulsion verwendet. Auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden vorwiegend (einheimische) Hanfsamen pharmazeutisch genutzt. Von Europa aus findet das vielversprechende Arzneimittel seinen Weg nach Amerika.
Eine erste ausführliche Beschreibung des ausländischen, sogenannten indischen Hanfs, liefert im Jahr 1830 der Apotheker und Botaniker Theodor Friedrich Ludwig Nees v. Esenbeck. In Deutschland wird das bekannte Wissen zu Cannabis 1856 in einer medizinischen Doktorarbeit zusammengefasst – die Anwendung verbreitet sich. Cannabisprodukte sind inzwischen ein gängiges Arzneimittel in den Apotheken. Der Verkauf von Cannabis wird reguliert und der indische Hanf der Apothekenpflicht unterstellt.
Aufstieg und Niedergang von Medizinalcannabis
Ende des 19. Jahrhunderts ist medizinisches Cannabis ein etabliertes Heilmittel und Cannabispräparate sind vermehrt verfügbar. Diese sind zu dieser Zeit in der westlichen Schulmedizin als Schlaf- und Schmerzmittel bekannt und werden unter anderem gegen Neuralgien, Rheumatismus, Krämpfe, Husten sowie Unruhe und Angstzustände eingesetzt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts allerdings verdrängen chemisch definierte Produkte zunehmend Naturprodukte. Die Wissenschaft ist bemüht, das Geheimnis der Cannabispflanze zu lüften. Da aber die Standardisierung von Cannabisprodukten fehlschlägt, verlieren diese ihre Akzeptanz in der Ärzteschaft zugunsten von Wirkstoffen, deren chemische Struktur damals bekannt ist und die damit genau dosierbar sind. Darüber hinaus wird Cannabis zunehmend als Rauschmittel stigmatisiert.
Comeback in den 60er-Jahren und weitere Meilensteine
Bevor es in den 60er-Jahren zur Widerentdeckung der Heilpflanze kommt, bringt das Jahr 1961 erst einmal das Ende der medizinischen Karriere von Cannabis mit sich: Das sogenannte Einheits-Übereinkommen (Convention on Narcotic Drugs) führt de facto zu einem kompletten Verbot – auch für den medizinischen Einsatz. Allerdings darf weiterhin mit Cannabis geforscht werden.
Und tatsächlich gelingt es den israelischen Wissenschaftlern Yechiel Gaoni und Raphael Mechoulam 1963 bzw. 1964 die chemische Struktur der beiden Hauptwirkstoffe der Cannabispflanze – Cannabidiol (CBD) sowie Tetrahydrocannabinol (THC) – zu ermitteln. Auf der Suche nach den körpereigenen Bindungsstellen der Cannabinoide wird 1990 der CB1-Rezeptor und 1993 der CB2-Rezeptor entdeckt.
Das erste Endocannabinoid Anandamid wird 1992 isoliert. Dies führt zur Entdeckung eines völlig neuartigen körpereigenen Kommunikationssystems, dem Endocannabinoid-System, und trägt zum besseren Verständnis der komplexen pharmakologischen Wirkung von Cannabis bei.
- Cannabis als Medizin: die Geschichte im Überblick
- Infografiken zu medizinischem Cannabis
- Hätten Sie es gewusst? Grundlagen zu medizinischem Cannabis
- Wie wirkt medizinisches Cannabis im menschlichen Körper?
- Therapeutisches Potenzial von medizinischem Cannabis
- Einsatzgebiete für Cannabis als Medizin
- Sicherheit, Nebenwirkungen und Kontraindikationen
Infografiken zu medizinischem Cannabis
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Hätten Sie es gewusst? Grundlagen zu medizinischem Cannabis
Pharmazeutische Cannabisblüten sind die blühenden, getrockneten Triebspitzen der weiblichen Cannabispflanze. Diese Blüten enthalten Cannabinoide (z.B. THC und CBD): chemische Stoffe, die verschiedenste Beschwerden lindern können. Die heute bekanntesten und am besten untersuchten Cannabinoiden heißen Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD).
- Cannabinoide: Substanzen, wie Endocannabinoide, Phythocannabinoide und synthetische Cannabinoide, die das körpereigene Endocannabinoid-System aktivieren und mit ihm in Wechselwirkung treten. Sie sind u.a. beteiligt an wichtigen Funktionen wie Schmerzverarbeitung, Motorik, Emotion, Appetitregulation und Nahrungsaufnahme.
- Endocannabinoid-System (ECS): Transmittersystem der körpereigenen Kommunikation, das in verschiedenen Zonen und Geweben des menschlichen Organismus vorhanden ist und an der Regulierung verschiedenster Stoffwechselprozesse beteiligt ist. Hauptaufgabe des ECS ist die Aufrechterhaltung und Wiederherstellung des Gleichgewichts im Körper. Zum Endocannabinoid-System gehören Cannabinoid-Rezeptoren, Endocannabinoide und Enzyme (wie bspw. das Anandamid-abbauende Enzym FAAH (Fettsäureamid-Hydrolase).
- Cannabinoid (CB)-Rezeptoren: Rezeptoren sind Bindungsstellen auf Zelloberflächen. Sie sind in Nervenzellen, Zellen des Immunsystems und zahlreichen anderen Organen wie in der Milz, Nebenniere, Lunge, Herz und dem Pankreas vorhanden. Bereits gut untersuchte Cannabinoid-Rezeptoren sind CB1 und CB2. Neben diesen zwei Rezeptoren gibt es noch eine Vielzahl weiterer, die ebenso dem ECS angehören und einen wichtigen Beitrag zur Funktionalität des gesamten Systems leisten.
- Cannabidiol (CBD): Nicht-psychotropes (keine Halluzinationen hervorrufendes) Cannabinoid mit verschiedenen Wirkmechanismen. CBD gilt als besonders gut verträglich und wird nicht als Betäubungsmittel eingestuft.
- Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC): Cannabinoid mit psychotroper und psychoaktiver Wirkung. Sämtliche Darreichungen mit einem Gehalt von > 0,2% fallen unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG). psychotropen Wirkungen. CBD-Antagonist.
- Synthetische Cannabinoide: Synthetisch hergestellte Moleküle, die die Wirkung von Phyto-Cannabinoiden wie THC nachahmen.
Wie wirkt medizinisches Cannabis im menschlichen Körper?
Die Cannabispflanze enthält neben den beiden bekanntesten Cannabinoiden Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) über 100 weiter Cannabinoide. Inzwischen hat die Forschung auch gezeigt, dass andere Inhaltsstoffe der Cannabispflanze, wie Terpene und Flavonoide, die medizinische Wirkung positiv beeinflussen können. Dieses Zusammenspiel bezeichnen Experten als Entourage-Effekt.
Was genau bedeutet Entourage-Effekt? Forschungen haben ergeben, dass Zubereitungen aus der ganze Cannabispflanze eine positivere Wirkung haben und besser verträglich sind als isolierte Cannabinoide wie die Reinsubstanz Dronabinol. Experten sprechen von einer synergistischen Wirkung zwischen Phytocannabinoiden und anderen Pflanzeninhaltsstoffen, wie Terpenen. CBD kann manche durch THC ausgelöste Nebenwirkungen abmildern.
Die Cannabisforschung führte zur Entdeckung des Endocannabinoid-Systems (ECS) und mehrerer Endocannabinoide (körpereigene Cannabinoide), die in diesem System als Botenstoffe wirken. Das Endocannabinoid-System wird unter anderem pharmakologisch über die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 beeinflusst. Bei chronischen Erkrankungen kann der ECS-Tonus verändert sein, wodurch sich ein krankhafter Gleichgewichtszustand ausbildet. Eine externe Zugabe von Cannabinoiden (z.B. Phytocannabinoide) bietet die Möglichkeit, Defizite im ECS zu kompensieren, das ECS in seiner gesunden Funktion zu unterstützen und so zum Wiedererlangen der Homöostase beizutragen.
Umfangreiche Informationen über die Cannabispflanze und ihre Wirkstoffe finden Sie in unserem Bereich Cannabiswissen.
- Endocannabinoid-System
- Cannabonoid-Rezeptoren
- Cannabinoide
- Entourage-Effekt
Therapeutisches Potenzial von medizinischem Cannabis
Das therapeutische Potenzial von Cannabinoiden und Cannabis hat sich bereits in der Behandlung von Patientinnen und Patienten gezeigt – es ist aber noch zu einem großen Teil unerforscht. Die Einsatzgebiete für medizinisches Cannabis sind vielfältig. Grund dafür ist die Verteilung der ECS-Komponenten über den gesamten Organismus und der damit einhergehenden lebenswichtigen Rolle im Körper.
Dank der Entdeckung des Endocannabinoid-Systems im Körper konnte das Zusammenspiel zwischen menschlichem Organismus und den Bestandteilen der Cannabispflanze erstmals erforscht werden. Doch Cannabis bietet neben den Cannabinoiden noch weitere Inhaltsstoffe, die einen therapeutischen Nutzen versprechen, wie die Terpene und Flavonoide. Diese sind heute ebenfalls Teil der medizinischen Forschung.
Untersuchte therapeutische Wirkungen
- Anxiolytisch
- Analgetisch
- Antiemetisch
- Antiepileptisch
- Antitumoral
- Antioxidativ
- Entzündungshemmend
- Antipsychotisch
- Immunmodulatorisch
- Antibakteriell und antimykotisch
- Neuroprotektiv
- Antirheumatisch
- Schlafinduzierend
- Antispastisch
- Appetitanregend
- Vorbeugung des Abstinenzsyndroms
Einsatzgebiete für Cannabis als Medizin
Etablierte Indikationen für cannabisbasierte Medikamente sind:
- Chronische und neuropathische Schmerzen
- Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie
- Appetitlosigkeit und Kachexie
- Spastik bei Multipler Sklerose
Cannabis wird aber auch bei weiteren Erkrankungen (Indikationen) und Symptomen angewendet. Die häufigsten Einsatzgebiete von Cannabis mit einer umfangreichen Beschreibung der Studienlage finden Sie hier.
Darreichungsformen von Cannabis als Medizin
- Blüten – In Deutschland ist das Vaporisieren der getrockneten und gemahlenen Cannabisblüten zu medizinischen Zwecken zugelassen. Das Inhalieren des Dampfes über einen Vaporisator ist wesentlich schonender für die Lunge als das Rauchen. Um Cannabinoide (wie THC und CBD) in ihre „aktive Form“ zu überführen, wird über eine Hitzezufuhr der Säureanteil der Cannabinoide abgespalten. Dieser Vorgang wird auch Decarboxylierung genannt.
- Tee – Die Zubereitung von Cannabisblüten als Tee ist eine in Deutschland zugelassene Einnahmeform (NRF-Rezeptur). Die Aktivierung der Wirkstoffe kann beispielsweise im vorgewärmten Backofen stattfinden. Anschließend wird der Tee wie gewohnt aufgebrüht. Empfehlenswert ist hierbei die Zufuhr von Fett (beispielsweise in Form von Sahne), da Cannabinoide sich aufgrund ihrer hydrophoben Eigenschaft nicht in reinem Wasser lösen.
- Extarkte – Dies sind Cannabis-Konzentrate wie Cannabis-Öl oder Vollspektrumextrakte, die oral eingenommen werden. In Deutschland sind Konzentrate in Form von Sprays oder Tropfen erhältlich. Die orale Einnahme von Cannabis-Öl oder Vollspektrumextrakten ermöglicht eine einfache und standardisierte Anwendung mit gleichbleibenden Wirkstoffen.
- Topicals – Mit Cannabinoiden versetzte Cremes, Lotionen und Salben werden auf der Haut aufgetragen und entfalten ihre Wirkung lokal. Topicals gelten als nicht-psychoaktiv.
- Edibles – Ein Sammelbegriff für Nahrungsmittel oder Getränke, die mit Cannabinoiden versetzt sind. Edibles können praktisch alle Speisen und Getränke sein, für deren Zubereitung Butter oder Öl benötigt wird, da sich die Wirkstoffe der Cannabispflanze nur in Verbindung mit Fett lösen. Grundsätzlich gilt, dass zur vollen Entfaltung der Cannabinoid-Wirkung, diese vor der Anwendung decarboxyliert (aktiviert) werden müssen. Dies kann bei Edibles beispielsweise im Ofen passieren.
Das Risikoniveau des medizinischen Cannabiskonsums ist gering, aber es ist immer ratsam, es zu medizinischen Zwecken mit der entsprechenden professionellen Begleitung zu verwenden.
Sicherheit, Nebenwirkungen und Kontraindikationen
Ein großer Vorteil von Cannabis als Medizin ist seine ungewöhnliche Sicherheit. Cannabis schädigt keine inneren Organe, solange es in therapeutischer Dosierung eingenommen wird. Dadurch sind Cannabisprodukte nach aktueller Studienlage sicher für eine Langzeittherapie. Patientinnen und Patienten müssen auch nach mehreren Jahren keine gesundheitlichen Schädigungen von beispielsweise Magen, Leber oder Nieren fürchten.
Mögliche Nebenwirkungen eine Cannabistherapie sind Müdigkeit, Schwindel, Schläfrigkeit, Mundtrockenheit und Übelkeit. Cannabis wird langfristig im Allgemeinen gut vertragen.
Kontraindikationen sind unter anderem: Schwangerschaft und Stillzeit, Schizophrenie und Cannabis-induzierte Psychose sowie schwere kardiovaskuläre Erkrankungen.
Auch wenn das Risikoniveau bei der medizinischen Einnahme von Cannabis gering ist, sollte es dennoch nur mit der entsprechenden professionellen medizinischen Begleitung angewendet werden.
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