Interview mit einer Cannabispatientin: “Ich war in einer Spirale gefangen”

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“Interview mit einer Cannabispatientin”

Ein gebrochenes Bein, eine Operation und danach unerklärbare, dauerhafte Schmerzen und ein unbewegliches Bein – Anna R. (Name von der Redaktion geändert), leidet an CRPS, einem Schmerzsyndrom, das nach einem Trauma auftreten kann. Obwohl sie unterschiedliche Therapien ausprobiert und starke Opiate einnimmt, wird sie die Schmerzen nicht los. Als dann noch eine Migräne hinzukommt, muss eine andere Lösung her. Zu einem durchschlagenden Erfolg in der Behandlung kommt es erst, als Anna ein Cannabismedikament ausprobiert.

Kalapa: Sie leiden an CRPS – einem komplexen regionalen Schmerzsyndrom – und Migräne. Wie alt waren Sie, als Ihre Erkrankungen diagnostiziert wurde? Was waren die ersten Beschwerden und Symptome?

Anna: CRPS wurde diagnostiziert, als ich 28 Jahre alt war, Migräne dann circa 5 Jahre später. CRPS entsteht nach einem Trauma. Ich hatte mir den Unterschenkel gebrochen und musste operiert werden. Direkt nach der OP begannen die Schmerzen und meine Bewegung war deutlich eingeschränkt. Ich war in Behandlung bei einer Physiotherapeutin, die der Meinung war, dass meine Beschwerden nicht normal seien nach so einer Operation. Als mein Bein dann noch anschwoll, ging ich zur Untersuchung zurück ins Krankenhaus. Leider sind wir dort nicht weitergekommen. Bei einer CRPS kann auch ein OP-Fehler der Auslöser sein, daher hatte das Krankenhaus vielleicht einfach Bedenken und war vorsichtig mit einer Diagnose. Ich bin dann in eine andere Klinik gegangen und die haben die Diagnose CRPS gestellt.

Kalapa: Sie haben für Ihre beiden Erkrankungen viele unterschiedlichen Medikamente ausprobiert, mit teilweise starken Nebenwirkungen. Trotzdem hat die Standardtherapie bei Ihnen nicht ausreichend angeschlagen …

Anna: Ich habe viele Medikamente ausprobiert, für beide Erkrankungen unterschiedliche. Für das CRPS klassische Schmerzmittel und antientzündliche Mittel. Ich habe eine Schmerztherapie gemacht, als das nicht ausreichte, habe ich Tramadol erhalten in Kombination mit Antidepressiva und Schmerzpflaster. Ich habe Ergotherapie bekommen und eine ambulante Physiotherapie. Dennoch ging bei mir sehr wenig. Die Beweglichkeit im Bein war stark eingeschränkt und durch die Schmerzen konnte ich praktisch gar nicht am Bein arbeiten, damit sich die Mobilität verbessert. Ich hatte eine wirklich krasse Phase von ungefähr eineinhalb Jahren, in der ich sehr unbeweglich war. Ich habe dann das Schmerzmittel gewechselt von Tramadol zu Oxycodon.

Kalapa: Ein stark wirksames Opiod …

Anna: Dadurch wurden die Schmerzen weniger, ich hatte aber starke Nebenwirkungen, vor allem bei der Verdauung. Zu dem Zeitpunkt dachte ich, dass ich das Maximum an Schmerzlinderung erreicht hätte. Mir haben auch die Ärzte gesagt, dass mehr nicht möglich ist. Oxycodon ist schon ein sehr starkes Mittel.

Als dann auch noch die Migräne hinzukam, verschlechterte sich mein Zustand stark. Ich kann das nicht gut erklären, aber Schmerzen im Kopf sind noch viel einschränkender als Schmerzen im Bein, einfach weil sie den Kopf betreffen. Ich musste also wieder auf Medikamentensuche gehen – wieder alles ausprobieren: Antiepileptika, Antidepressiva, Betablocker, Botox … Ich habe alles Mögliche versucht! 2018 habe ich eine Therapie mit Migränespitzen mit Antikörpern erhalten.

Kalapa: Die Migränespritze ist ein Mittel zur Vorbeugung der Migräne. Mit ihr werden Antikörper verabreicht, die körpereigene Botenstoffe blockieren, die bei der Entstehung der Kopfschmerzen eine Rolle spielen. Die prophylaktische Migränespritze ist noch relativ neu und verhältnismäßig teuer. Deshalb übernimmt die Krankenkasse die Kosten nur, wenn alle Standardmedikamente erfolglos waren.

Anna: Leider haben die Migränespritzen bei mir auch nicht angeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich dann gar kein Mittel mehr als Prophylaxe. Ich war verzweifelt und dachte mir: So hält das doch kein Mensch aus, es muss noch etwas geben.

In der Schmerzklinik bekam ich das hundertste Antidepressivum, hatte viel zu niedrigen Blutdruck, fühlte mich tüdelig und betäubt. Die Schmerzen wurden aber nicht besser. Dort in der Klinik hat dann ganz am Ende der Arzt Cannabis als letzte Möglichkeit vorgeschlagen, das war 2021. Der Arzt meinte zu mir, es würde in meinem Fall nichts anderes mehr geben. Die Behandlung wurde dort aber nicht mehr begonnen.

Kalapa: Wie ging es dann weiter?

Anna: Nach dieser Aussage des Klinikarztes wollte ich Cannabis unbedingt ausprobieren. Schließlich hatte ich jahrelang die Standardmedikamente eingenommen. Zu Hause haben ich dann meinen Schmerztherapeuten auf Cannabis angesprochen.

Kalapa: Wie hat Ihr Arzt darauf reagiert?

Anna: Er war erst mal zögerlich und wollte darüber nachdenken. Am nächsten Tag hat er sich dann wieder gemeldet und sagte mir, dass wir die Behandlung ausprobieren können. Wir haben einen Test mit Dronabinol Tropfen auf Privatrezept gemacht.

Kalapa: Wie hat sich Ihr gesundheitlicher Zustand durch das THC verändert?

Anna: Es hat gut gewirkt, ich hatte gefühlt keine Nebenwirkungen. Manchmal werde ich müde, wenn ich zu viel einnehme. Außerdem merke ich eine Steigerung meines Appetits, das ist für mich aber keine negative Nebenwirkung, sondern kommt mir entgegen, da ich wegen der Schmerzen oft keinen Appetit habe. Für mich ist es also gut, mehr zu essen.

Später haben wir dann die Dronabinol Tropfen umgestellt auf ein Vollextrakt. Da habe ich sogar eine noch bessere Wirkung gespürt und bei der Standardanwendung gar keine Nebenwirkungen. Ich fahre mit dem Extrakt auch Auto. Das ist wichtig für mich, denn ich wäre ohne Auto aufgeschmissen. Im alltäglichen Leben spüre ich keine Benommenheit durch das Cannabis – das habe ich noch nicht mal in der Eindosierungsphase wahrgenommen. Nur wenn ich bei starken Schmerzen eine höhere Dosis einnehme, fühle ich beeinträchtigt. Aber dann bleibe ich sowieso im Bett, daher spielt das keine Rolle für mich.

Das Cannabisarzneimittel wirkt bei mir auch krampflösend. Ich hatte früher beim Aufwachen häufig Muskelkrämpfe im Bein – dagegen hilft es gut. Andere Medikamente gegen Krämpfe haben mich dagegen früher sehr benommen gemacht.

Kalapa: Haben Sie inzwischen eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse?

Anna: Ich hatte zwei Privatrezepte als Testphase, dann hat mein Schmerztherapeut einen Antrag auf Kostenerstattung gestellt. Das war unproblematisch, der Antrag wurde gleich beim ersten Versuch angenommen, obwohl mein Arzt schon damit gerechnet hatte, dass der Antrag abgelehnt wird. Dies passiert einfach oft. Daher hatte auch der Neurologe einen Brief geschrieben, wieso er die Cannabistherapie befürwortet.

Kalapa: Benötigen Sie neben dem Cannabisextrakt noch weitere Medikamente? Und wie geht es Ihnen heute?

Anna: Bei akuten Migräneanfällen nehme ich Triptane, aber ich benötige keine Prophylaxe mehr. Gegen die Schmerzen im Bein brauche ich nur noch wenige Schmerzmittel. Ich bin berufstätig und kann meinen Job ausüben. Aufgrund der Schmerzen und der Erkrankungen musste ich zwar die Stundenzahl reduzieren, aber wenn die Lösung Cannabis nicht gekommen wäre, hätte es mit meiner Arbeit gar nicht funktioniert. Ich war in einer Spirale gefangen: Ich habe mich bei starken Schmerzen krankgemeldet, wieder bei der Arbeit musste ich alles aufholen, was während meiner Abwesenheit liegen geblieben war. Daraufhin wurde ich wieder krank, Arbeit blieb wieder liegen und so weiter. Das hätte so niemals auf Dauer funktioniert. Heute frage ich mich, wieso ich Cannabis nicht schon früher ausprobiert habe.

Was ist CRPS?

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS – Complex Regional Pain Syndrome, auch Morbus Sudeck genannt), ist ein posttraumatisches Schmerzsyndrom einer Extremität, also einen Arm oder ein Bein betreffend. Das Schmerzsyndrom geht mit starken chronischen Schmerzen und motorischen, autonomen oder sensorischen Störungen einher. Die Schmerzerkrankung ist noch nicht vollständig verstanden. Sie kann in Folge einer Körperschädigung auftreten und zeigt sich als eine Kombination von Schmerzen, entzündlichen Symptomen, eingeschränkter Beweglichkeit und reduzierter Kraft sowie Störungen der Sensibilität.

Mit einer Häufigkeit von 2 – 5% kommt es nach Verletzungen der Arme oder Beine zum CRPS, vor allem nach Knochenbrüchen, Operationen und anderen schwereren Verletzungen. CRPS tritt vor allem zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr auf, kann aber jüngere Manschen oder Senioren betreffen.

About Gesa Riedewald

Gesa Riedewald is the managing director of Kalapa Germany. She has been working as a medical writer on the topic of pharmaceutical cannabis since 2017 and has years of experience in the healthcare sector.

Gesa Riedewald ist die Geschäftsführerin von Kalapa Deutschland. Sie ist bereits seit 2017 als medical writer für das Thema Cannabis als Medizin tätig und besitzt jahrelange Erfahrung im Bereich Healthcare.