Raphael Mechoulam: Pionier des medizinischen Cannabis

Er ist einer der Großen der pharmazeutischen Chemie: Der israelische Wissenschaftler Raphael Mechoulam gilt als Entdecker der wesentlichen Wirkstoffe der Cannabispflanze und ihrer chemischen Strukturen sowie der Funktionsweise des menschlichen Endocannabinoidsystems. Der heute 91-jährige Forscher blickt auf ein bewegtes Leben zurück – persönlich und in seiner Rolle als Gelehrter.

Kindheit auf dem Balkan

Raphael Mechoulam kam 1930 im bulgarischen Sofia zur Welt. Sein Vater galt als angesehener Arzt und war Leiter des dortigen jüdischen Krankenhauses. Die erste Hälfte seiner Kindheit besuchte Raphael eine amerikanische Grundschule in Sofia, die zweite Hälfte verbrachte er im Exil: Nach der Bedrohung durch die Nazis versteckte sich die Familie Mechoulam in verschiedenen Dörfern auf dem Balkan.

1944 wurde der Vater in ein Konzentrationslager gebracht, überlebte die Inhaftierung aber glücklicherweise.

Emigration nach Israel

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges emigrierte Familie Mechoulam nach Israel. Raphael studierte Biochemie an der Hebräischen Universität in Jerusalem und promovierte im Jahr 1958. Von 1953 bis 1955 hatte er sich im Rahmen seiner medizinischen Forschungsarbeit im Militärdienst der Erforschung von Insektiziden gewidmet.

Im Anschluss an seine Promotion erhielt er eine Postdoktorandenstelle am Rockefeller Institut in New York, kehrte aber schon 1960 nach Jerusalem zurück. Am dortigen Weizmann-Institut begann die wichtigste Forschungsreise in Mechoulams Leben: die Auseinandersetzung mit den Wirkbestandteilen der Cannabispflanze. 

Wissenschaftliche Laufbahn

Ab 1966 war Mechoulam an der Hebräischen Universität in Jerusalem tätig: zunächst als Wissenschaftler, später als Professor und Rektor der Hochschule. In den 90er-Jahren führten ihn Forschungsaufenthalte und Gastprofessuren in die USA, von 1999 bis 2000 war Mechoulam zudem Präsident der „International Cannabinoid Research Society“. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den „Israel Prize in Exact Sciences“ (2000) und den renommierten Harvey-Preis, der als Vorläufer des Nobelpreises gilt (2020). Mit letzterem würdigte die Fachwelt die bahnbrechenden Entdeckungen Mechoulams im Bereich des medizinischen Cannabis.

Mechoulam lebt bis heute in Jerusalem und gilt nach wie vor als der wichtigste Pionier der Cannabisforschung.

Meilensteine in der Erforschung der Cannabinoide: Mechoulams Verdienste

1963/1964: Entdeckung von CBD und THC

  • Mechoulams Team erhält die für Forschungszwecke erforderliche Menge von fünf Kilogramm „Haschisch“ aus dem Lager eines israelischen Polizeireviers – wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine Beschlagnahmung von Schmugglerware aus dem Libanon.
  • Isolation von Cannabidiol (CBD) als eine aus hunderten von Wirksubstanzen der Hanfpflanze und Beschreibung der chemischen Struktur. Ein Jahr später Isolation der psychotropen Komponente Tetrahydrocannabinol (THC), das für die berauschende Wirkung von Cannabis verantwortlich ist.

Erste Veröffentlichung des Forscherteams zu den therapeutischen Wirkungen von CBD bei den folgenden Krankheitsbildern:

  • Entzündungen
  • Angstzustände
  • Typ-1-Diabetes
  • Autoimmunerkrankungen
  • Neurologische Erkrankungen

Ende der 60er/Anfang der 70er-Jahre: Forschung an Menschenaffen

  • Testung der wichtigsten pflanzlichen Cannabinoide auf ihre Wirkung bei Affen. Erneute Bestätigung: THC hat psychotrope Effekte auf Affen, CBD dagegen nicht.

1980: Erste Doppelblindstudie zur Wirkung von CBD auf Epilepsie

  • Beginn der Forschungen zu den Effekten von CBD und THC auf Epilepsie – zunächst an Mäusen. Anschließend Durchführung einer Doppelblindstudie zur Wirkung von CBD an Epilepsiepatient*innen mit chronischen Beschwerden mit beeindruckenden Ergebnissen: Nach drei Monaten Therapie mit CBD entweder Anfallsfreiheit oder deutliche Reduktion der Anfälle.
  • Die Ergebnisse der Studie stoßen weder in der Forschungswelt noch in den Pharma-Märkten auf breites Interesse, wahrscheinlich bedingt durch das Stigma von Cannabis.

1992: Enthüllung des Endocannabinoidsystems (ECS)

  • Identifikation der Endocannabinoide Anandamid und 2-Arachidonylglycero (2-AG), die der menschliche Körper selbst produziert und die mit den Rezeptoren CB1 und CB2 interagieren.
  • Das Forscherteam beobachtet ähnliche Wechselwirkungen durch die äußere Zufuhr von Cannabinoiden, damit Enthüllung des endogenen Cannabinoidsystems, auch Endocannabinoidsystem (ECS) genannt. 
  • Die Kenntnisse um die Wirkungsweisen des ECS sind Basis für die heutige therapeutische Nutzung von Cannabis sativa und den Wirkstoffen der Pflanze.

2002: Forschung zu Schädel-Hirn-Trauma

  • Entdeckung der erhöhten Produktion von Anandamid und 2-AG im Gehirn nach einem Schädel-Hirn-Trauma. Darüber hinaus hemmen die beiden körpereigenen Endocannabinoide die Erzeugung schädlicher Substanzen nach intrakraniellen Verletzungen.
  • Untersuchung des hemmenden Potenzials von Anandamid und 2-AG bei neuronalen Schäden nach Schädel-Hirn-Trauma an Mäusen und Ratten: Bei Verabreichung der Substanzen reduziert sich der Umfang an Hirnschäden deutlich.

Wir danken Prof. Mechoulam ganz herzlich für die Bereitstellung des Fotos für diesen Artikel.

Quellen:

Mechoulam, R. (2022). A Delightful Trip Along the Pathway of Cannabinoid and Endocannabinoid Chemistry and Pharmacology. Annual Review of Pharmacology and Toxicology, 63(1). https://doi.org/10.1146/annurev-pharmtox-051921-083709

About Mirjam Hübner

Mirjam Hübner ist Diplom-Journalistin und arbeitet als Redakteurin und Kommunikationstrainerin. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in Journalismus und Unternehmenskommunikation, vor allem in den Bereichen Gesundheit und Finanzdienstleistung.