Cannabinoide bei Tourette-Syndrom

Lautes Fluchen, obszöne Ausrufe und unkontrolliertes Zucken – das fällt den meisten Menschen zum Tourette-Syndrom ein. Tatsächlich zeigt sich diese neuro-psychiatrische Erkrankung bei den Betroffenen sehr unterschiedlich. Kennzeichnend sind motorische und vokale Tics. Medizinisches Cannabis kann bei einer Vielzahl von neurologischen und psychiatrischen Krankheitsbildern eingesetzt werden. Einige Studien und Berichte lege nahe, dass medizinisches Cannabis die im Rahmen des Tourette-Syndroms auftretenden Tics reduzieren kann.

Was ist das Tourette-Syndrom?

Das Tourette-Syndrom (TS) stellt im Erwachsenenalter die häufigste Tic-Störung dar. Weltweit leiden ca. 0,5 bis 1 Prozent der Bevölkerung an TS. “Tics” können unkontrollierte, kurze, schnelle Bewegungen sein oder spontane Lautäußerungen. Meist handelt es sich um kleine Bewegungen der Mimik, es können aber auch ausladende Bewegungen oder Geräusche sein.

Leider weiß man noch nicht genau, welche Ursache das Tourette-Syndrom genau hat. Forschende vermuten derzeit, dass es sich um eine Bewegungsstörung handelt, bei der die Unterdrückung überschüssiger Bewegungsimpulse im Gehirn nicht richtig abläuft. Erbliche Faktoren spielen offensichtlich eine Rolle, denn es gibt viele Familien, in denen mehrere Familienmitglieder Tics haben (1).

Symtome bei Tourette-Syndrom:

  • Motorische Tics wie Augenblinzeln, Augendrehen, Naserümpfen oder Grimassieren
  • Vokale Tics wie Räuspern, Hüsteln oder auch Schreie, selten das Nachsprechen von Wörtern oder Ausstoßen von Schimpfworten

Komorbiditäten

Forschende haben nachweisen können, dass bei etwa 80 bis 90 Prozent aller Patient*innen mit Tourette-Syndrom Komorbiditäten bestehen. Das bedeutet, die Personen leiden neben den Tics an weiteren (psychischen) Symptomen (2).

Komorbiditäten bei Tourette-Syndrom (2):

  • Bei Kindern und Jugendlichen:
  • Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) (bei etwa 50%)
  • Zwangsstörung (bei etwa 30%)
  • Störung des Sozialverhaltens
  • Lernstörungen
  • Angststörungen
  • Depressionen
  • Schlafstörungen
  • autoaggressives Verhalten
  • Bei Erwachsenen:
  • Zwangssymptome
  • Depressionen
  • ADHS
  • Störung der Impulskontrolle

Behandlung des Tourette-Syndroms

Expert*innen empfehlen Verhaltenstherapie und Medikamente, hauptsächlich mit Antipsychotika, als Erstbehandlung von Tics. Trotz dieser bewährten therapeutischen Ansätze sind viele Patient*innen unzufrieden, weil ihre Tics nicht ausreichend reduziert werden oder sie unerträgliche Nebenwirkungen haben. Studien legen nahe, dass Cannabis-basierte Medikamente eine alternative Behandlung für diese Betroffenen sein könnten.

Medizinisches Cannabis und das Tourette-Syndrom

Prof. Dr. Kirsten R. Müller-Vahl von der Medizinischen Hochschule Hannover forscht seit Jahren zum Thema Tourette-Syndrom und Cannabistherapie. In einer Übersichtsarbeit hat sie mehrere Fallstudien sowie zwei randomisierte und kontrollierte Studien zu dem Thema gesichtet und bewertet. Die Fallstudien lieferten Hinweise darauf, dass Cannabis nicht nur bei der Unterdrückung von Tics, sondern auch bei der Behandlung der damit verbundenen Verhaltensprobleme wirksam sein könnte. In den zwei kontrollierten Studien wurde die Wirkung von THC bei der Behandlung von TS erforscht. Beide Untersuchungen zeigten eine signifikante Verringerung der Tics nach der Behandlung mit THC im Vergleich zu Placebo. Insgesamt weisen die Daten darauf hin, dass bei therapieresistenten erwachsenen Patient*innen eine Behandlung mit THC in Betracht gezogen werden sollte, so die Autorin. (3)

In einer neueren Übersichtsarbeit haben Forschende alle bis 1. Juli 2021 erschienen und in der Datenbank PubMed aufgeführten Studien zum Thema Cannabis-basierte Medikamente und Tourette-Syndrom bewertet. Auch hier mussten die Forschenden feststellen, dass sich die Mehrzahl der Studien noch immer auf Fallberichte, Fallserien und offene, unkontrollierte Studien beschränkte. Bisher wurden nur zwei kleine randomisierte kontrollierte Studien mit Tetrahydrocannabinol (THC, Dronabinol) veröffentlicht, die die Sicherheit und Wirksamkeit von Cannabis bei der Behandlung von Tics belegen. Andererseits gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass Cannabis-basierte Medikamente bei der Behandlung von Tics und psychiatrischen Komorbiditäten bei Betroffenen mit Tourette-Syndrom wirksam sind. (4)

Fazit

THC hat laut einer aktuellen Übersichtsarbeit positive Effekte auf die mit dem Tourette-Syndrom einhergehenden Tics. Daher sollte bei erwachsenen, behandlungsresistenten Betroffenen über eine Therapie mit THC nachgedacht werden. Es bedarf jedoch mehr groß angelegter, randomisiert-kontrollierter Studien, um die Zusammenhänge und eine effektive Behandlungsmethode besser zu erforschen. Die Ergebnisse laufender größerer Studien wie CANNA-TICS, einer großen multizentrischen Studie zur Untersuchung der Wirksamkeit des Cannabis-basierten Medikamentes Sativex® (Nabiximols) zur Behandlung von Menschen mit Tic-Störungen bzw. Tourette-Syndrom, werden die Rolle von Cannabis bei der Behandlung von Patient*innen mit TS weiter klären.

Quellen:

About Gesa Riedewald

Gesa Riedewald is the managing director of Kalapa Germany. She has been working as a medical writer on the topic of pharmaceutical cannabis since 2017 and has years of experience in the healthcare sector.

Gesa Riedewald ist die Geschäftsführerin von Kalapa Deutschland. Sie ist bereits seit 2017 als medical writer für das Thema Cannabis als Medizin tätig und besitzt jahrelange Erfahrung im Bereich Healthcare.