Cannabis wird meist mit Phytocannabinoiden wie dem psychotropen Tetrahydrocannabinol (THC) in Verbindung gebracht. Forschungen zeigen, dass andere Bestandteile – Terpene und Flavonoide – die therapeutische Wirkung beeinflussen, was Entourage-Effekt genannt wird. Obwohl die farbigen Flavonoide im Pflanzenreich weit verbreitet sind, ist wenig über deren medizinische Wirkungen bekannt. Hier erklären wir, was diese Pflanzenstoffe sind und beleuchten ihr Potenzial.
Inhaltsstoffe der Cannabispflanze
Die Cannabispflanze enthält mehr als 500 verschiedene Bestandteile. Am bekanntesten sind die Phytocannabinoide, von denen die Pflanze über 100 aufweist. Am besten erforscht sind das berauschende Tetrahydrocannabinol (THC) und das nicht-psychotrope Cannabidiol (CBD). Daneben enthält Cannabis noch unterschiedliche nicht-Cannabinoide Pflanzenstoffe wie Phenole, Terpene, Flavonoide und Alkaloide. Stand Mai 2021 wurden bisher 323 Substanzen in Cannabis identifiziert, von denen zwölf seit 2017 neu entdeckt wurden. Aus Cannabis sativa konnten bisher 23 verschiedene Flavonoide isoliert werden, die unterschiedliche chemische Strukturen haben [1].
Was sind Flavonoide?
Flavonoide sind im Pflanzenreich weit verbreitete sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe aus der Klasse der Polyphenole. Sie machen Farbe, Geruch und Geschmack aus [2]. Die Forschung kennt derzeit 8.000 Flavonoide [3]. Der Name “Flavonoide” leitet sich von dem Begriff von “flavus” ab, dem lateinischen Wort für “Gelb”. Früher verwendeten die Menschen Extrakte flavonoidreicher Pflanzen zum Einfärben von Wolle [4].
Pflanzen nutzen Flavonoide zur Abwehr von Krankheitserregern, als Lockstoff für bestäubende Insekten und zum Schutz vor ultravioletter Strahlung (UV-Strahlung) [2,3]. Aufgrund der Schutzfunktion hängt die Flavonoid-Biosynthese daher nicht nur von der Pflanzengenetik ab, sondern unterliegt auch Umwelteinflüssen wie Temperatur, Sonnenstrahlung, Niederschlag und Luftfeuchtigkeit [5].
Flavonoide lassen sich in sechs Klassen einteilen [2]:
- Anthocyanidine
- Flavan-3-ole
- Flavonole
- Flavanone
- Flavone
- Isoflavone
Wirkungen von Flavonoiden
Flavonoide nutzen nicht nur der Pflanze, sondern haben auch ernährungsphysiologische und medizinische Wirkungen. Pflanzliche Lebensmittel wie Gemüse, Früchte, Getreide und getrocknete Hülsenfrüchte sind reich an Flavonoiden [5]. Beobachtungsstudien zeigten, dass regelmäßiger Verzehr dieser Lebensmittel Erkrankungen wie Diabetes, Krebs, Osteoporose, Herzkreislauf- und neurodegenerative Erkrankungen vorbeugen kann [3]. Entdeckt wurden Flavonoide erstmals 1936 durch den Nobelpreisträger Szent-Györgyi Nagyrápolt. Er entdeckte, dass Pflanzenextrakte aus Zitronen und roter Paprika die Kapillarwände von Blutgefäßen stärken und nannte die Substanzklasse zunächst Vitamin P [6].
Zu den Wirkungen von Flavonoiden gehören [2]:
- Antikanzerogen (krebshemmend)
- Antiinflammatorisch (entzündungshemmend)
- Antioxidativ
- Antithrombotisch (gerinnungshemmend)
- Antidiabetisch (diabeteshemmend)
- Neuroprotektiv
- Antiparasitär [5]
- Antiviral [5,7]
- Wundheilungsfördernd [8]
- Anxiolytisch (angstlösend) [9]
- Antiödematös (ödemhemmend) [9]
Flavonoide können bei einer Vielzahl verschiedener Erkrankungen und Leiden unterstützen, wie bei Entzündungen, Krebserkrankungen, Augenerkrankungen und neurodegenerative Erkrankungen. Manche Flavonoide können durch Hemmung der Kinase, einem Enzym, bei Virushepatitis, Krebs, Malaria, Autoimmunerkrankungen sowie entzündlichen Erkrankungen wirksam sein. Durch Kinasehemmung wirken sie immunsuppressiv und erhöhen als sogenannter Radiosensitizer die Empfindlichkeit des Tumorgewebes gegenüber einer Strahlentherapie [2].
Flavonoide in der Cannabispflanze
Flavonoide kommen in den meisten Geweben der Cannabispflanze vor, wie im Keimling, den Blättern, Blüten und Früchten. Keine Flavonoide sind dagegen in Wurzeln und Samen enthalten. Das Flavonoidprofil der blütennahen Hochblätter variiert dabei im Laufe der Entwicklung. Wie bei anderen Pflanzen hängt der Flavonoidgehalt von Cannabis sativa von Umweltfaktoren ab [5].
Italienische Wissenschaftler entdeckten 2020 einen Zusammenhang zwischen Anbaubedingungen und Flavonoidbildung: Das Forscherteam baute genetisch gleiche Cannabispflanzen in unterschiedlicher Höhenlage – Gebirge und Flachland – an und analysierte die Konzentrationen von Phytocannabinoiden, Terpenen und Flavonoiden. Es zeigte sich, dass Cannabispflanzen aus dem Gebirge mehr Cannflavin A, B und C enthalten. Dagegen enthielten Proben, die im Flachland angebaut wurden, mehr Apigenin [10].
Die meisten der bisher bekannten Flavonoide wurden aus “nicht gestressten”, also unter Idealbedingungen angebauten Cannabispflanzen isoliert. Daher wird angenommen, dass es noch unbekannte Flavonoide gibt, die nur unter bestimmten Stressbedingungen von der Cannabispflanze produziert werden. Einige Flavonoide kommen spezifisch in bestimmten chemischen Varietäten, sogenannten Chemovaren, vor. So findet sich Cannaflavin C in THC-reichen Cannabissorten [5].
Einige Flavonoide in Cannabis sind [9]:
- Apigenin
- Luteolin
- Quercetin
- Kämpferol
- Cannflavin A
- Cannflavin B
- Beta-Sitosterol
- Vitexin
- Isovitexin
- Orientin
Liste phenolischer Substanzen in Cannabis sativa [2,11]:
Cannflavine – charakteristische Flavonoide in Cannabis
Cannflavine sind chemisch gesehen Prenylflavonoide. Sie sind charakteristisch für Cannabis, kommen jedoch auch in einigen anderen Pflanzen vor. Es werden Cannflavin A, B und C unterschieden[12]. Modifikation des Flavonoid-Grundgerüsts durch Prenylierung und Methoxylierung macht Cannflavine stärker fettlöslich als andere Flavonoide. Da Zellmembranen eine fettige Barriere darstellen, werden Cannflavine leichter in Zellen aufgenommen. Auch Wechselwirkungen mit membranständigen Enzymen und Rezeptoren werden erleichtert [13].
Cannflavinen könnten daher viele therapeutische Eigenschaften haben. Bisher wurden die stark entzündungshemmenden Eigenschaften in präklinischen Studien untersucht. Der Zusammenhang zwischen der chemischen Struktur der Cannflavine und ihrer antientzündlichen, neuroprotektiven, antikanzerogenen, antiparasitären und antiviralen Wirkung ist bislang nicht vollständig aufgeklärt. Weitere Forschung wird mehr über die Struktur-Aktivitäts-Beziehungen (SAR: Structure activity relationship) aufdecken. Eine entsprechende Optimierung der chemischen Struktur könnte in Zukunft zu effektiveren Therapiemöglichkeiten führen. Ebenfalls sollten die mikrobiologischen Abbauprodukte erforscht werden, um Stoffwechsel und biologische Wirkung von Cannflavinen im Menschen zu verstehen [13].
Wirkungen von Cannflavinen [13]:
- Antioxidativ
- Antiinflammatorisch (entzündungshemmend)
- Neuroprotektiv
- Antikanzerogen (krebshemmend)
- Antiparasitär
- Antiviral
Entzündungshemmende Eigenschaften
1981 entdeckten Forscher*innen erstmals, dass Cannabinoid-freie Extrakte aus Cannabis sativa entzündungshemmend wirken. Bei Mäusen beeinflusste der Extrakt den Stoffwechsel von Prostaglandin E2 (PGE2). Weitere Forschung zeigte, dass durch den proinflammatorischen Stoff TPA ausgelöste Bildung von PGE2 gehemmt wird. Untersuchen im „Reagenzglas“, sogenannte In-vitro Studien zeigten, dass Cannflavin A und B entzündungsfördernde Prostaglandine und Leukotriene reduziert: Die Flavonoide blockierten die PGE2-Synthase, das Enzym zur Prostaglandin-Bildung und die 5-Lipoxygenase, das Enzym der Leukotrien-Biosynthese.
Auch in Kulturen menschlicher Rheumazellen wirkte Cannflavin A stark entzündungshemmend: Cannflavin A hemmte die PGE2-Synthese 30-mal stärker als Acetylsalicylsäure (ASS), ein nicht-steroidales Antirheumatikum. Im Gegensatz zu ASS hemmt Cannflavin A das Enzym Cyclooxygenase (COX) jedoch nur schwach: Daher verursacht Cannflavin A keine Nebenwirkungen wie Magenschleimhautschäden, die für nicht-steroidale Antirheumatika typisch sind [13]. Weitere Studien zeigten auch für Cannflavin B eine Hemmung der PGE2-Produktion und dadurch eine entzündungshemmende Wirkung [2].
Antivirale Eigenschaften
Flavonoide in Cannabis wirken auch antiviral. Die 2020 veröffentlichten Ergebnisse einer Computersimulation, einer sogenannten in silico Studie zeigten, dass Canflavon (Isocannflavin B) bei Covid-19 wirksam sein könnte. Die Bindungsstudie am Computer zeigte, dass Isocannflavin B Viruseintritt und Virusvermehrung von SARS-CoV-2 hemmt: Canflavon heftet sich an den ACE2-Rezeptor – der Eintrittspforte des Coronavirus – und unterbindet dadurch das Eindringen in die Wirtszelle.
Darüber hinaus hemmte das Flavonoid zwei virale Proteasen, die das Virus zur Vermehrung in den menschlichen Lungenzellen benötigt. Die Untersuchungen zeigten, dass die phytoantivitalen Flavnoide Hesperidin, Myricetin, Linebacker und Canflavon mindestens so stark an ACE2-Rezeptoren binden wie Chloroquin, ein weiterer bei Covid-19 erforschter Wirkstoff [6].
Computerstudien zeigen antiviralen Effekte von Cannflavinen auch bei anderen Virusinfektionen: Cannflavin A hat eine hohe Bindungsaffinität zur HIV-1 Protease, ein virales Enzym, welches die infektiösen Eigenschaften des HI-Virus vermittelt. Ebenfalls bindet Cannflavin A an verschiedene Proteine der Virushülle des Dengue-Virus. Bisherige in silico Studien deuten also auf antivirale Effekte von Cannflavinen hin. Um die Bioaktivität zu untersuchen, sind jedoch Untersuchungen in biologischen Systemen nötig [13].
Neuroprotektive Eigenschaften
In präklinischen Studien zeigten sich neuroprotektive Wirkungen von Cannflavin A schon in kleinen Konzentrationen: Die Nervenzellen zeigten eine verbesserte Überlebensfähigkeit gegenüber Beta-Amyloid, einem zytotoxischen Protein. Beta-Amyloid kann sich zu Plaques zusammenlegen. Cannflavin A unterbindet die Plaquebildung und schützt dadurch Nervenzellen [13]. Eiweißablagerungen von Beta-Amyloid spielen bei Alzheimer-Erkrankung eine wichtige Rolle.
Antikanzerogene Eigenschaften
Präklinische Studien im „Reagenzglas“ und in Tiermodellen zeigen eine antikanzerogene Wirkung von Isocannflavin B, einem synthetischen Isomer von Cannflavin B. Isocannflavin B hemmt die Proliferation, also das Wachstum von östrogenabhängigen menschlichen Brustkrebszellen. Auch bei Bauchspeicheldrüsenkrebs zeigten sich in präklinischen Studien für Isocannflavin B gute Erfolge:Das Flavonoid verzögerte das Wachstum von lokalen Tumoren und Metastasen bei Bauchspeicheldrüsenkrebs und verlängerte das Überleben der Mäuse. Studien an Menschen zur antikanzerogenen Wirkung von Isocannaflavin B fehlen jedoch bislang [13].
Antiparasitäre Eigenschaften
In vitro und in silico Studien zeigen, dass Cannflavin A und B Parasiten bekämpfen könnte. Die Cannflavine A und B zeigten in Kulturen von Leishmania donovani, den parasitären Erregern der Leishmaniose eine moderate antiparasitäre Wirkung. Cannflavin A bindet stark an das Enzym Leishmania Pteridin-Reduktase. Auch gegen Trypanosoma brucei, dem Erreger der Nana-Seuche bei Haustieren zeigt Cannflavin A Erfolge. Bisher ist der Wirkmechanismus der antiparasitären Effekte jedoch unbekannt und bedarf weiterer Forschungen [13].
Flavonoide bei metastasierendem Bauchspeicheldrüsenkrebs
Bauchspeicheldrüsenkrebs gehört zu den besonders aggressiven Tumorerkrankungen. Mit derzeitigen Therapiemöglichkeiten ist nur eine 5-Jahres-Überlebensrate von acht Prozent erreichbar. Umso wichtiger ist die Erforschung neuer Therapien, um Heilungschancen und Lebensqualität der Patient*innen zu verbessern. Ein amerikanisches Forscherteam zeigte in einer 2019 veröffentlichten präklinischen Studie, dass ein nicht-psychotropes Flavonoidderivat (vom wissenschaftlichen Team als FBL-03G bezeichnet) bei Bauchspeicheldrüsenkrebs helfen kann. Es handelt sich um ein synthetisches Isomer des natürlich in der Cannabispflanze vorkommenden Cannflavin B.
- In vitro Studien zeigten, dass FBL-03G den programmierten Zelltod (Apoptose) von Zelllinien menschlicher Bauchspeicheldrüsenkrebszellen herbeiführt. Durch die Flavonoide sterben im “Reagenzglas” also mehr Tumorzellen ab.
- Auch in Tiermodellen zeigte sich FBL-03G erfolgreich bei Tumoren der Bauchspeicheldrüse. Dazu wurden die Tumoren zusätzlich zur Strahlentherapie mit unterschiedlichen Konzentrationen des Flavonoids behandelt. FBL-03G wurde direkt in den Tumor gespritzt und für eine verlängerte Wirkung als Wirkstoffdepot in Form sogenannter „Smart Radiotherapy Biomaterials (SRB)“ implantiert. Das Depot löst sich langsam auf und setzt dabei das Flavonoid frei. Um die Wirkung auf Metastasen zu untersuchen, wurde ein zweiter Tumorherd der Tiere nicht behandelt. Tumorgröße und Überlebensrate der Mäuse wurden untersucht. Es zeigte sich, dass FBL-03G sowohl das Wachstum lokaler Tumoren als auch von Metastasen verzögerte. Im Vergleich zur Kontrollgruppe, die lediglich eine Strahlentherapie erhielt, nahm die Überlebensrate der mit FBL-03G behandelten Mäuse signifikant zu. Die positiven Ergebnisse dieser Studie legen den Grundstein für weitergehende Untersuchungen [14].
Entourage-Effekt bei Cannabis
Die hauptsächlich wirksamen Inhaltstoffe in Cannabis sind die Phytocannabinoide. Daneben beeinflussen eine Vielzahl weiterer biologisch aktiver Substanzen, insbesondere Terpene und Flavonoide, die pharmakologische Wirkung. Forschungen ergaben, dass Vollspektrumextrakte, also Zubereitungen aus der ganzen Cannabispflanze, besser wirken und verträglicher sind als isolierte Cannabinoide wie THC oder CBD. Dieses Phänomen wurde 1998 vom israelischen Professor für pharmazeutische Chemie, Raphael Mechoulam, entdeckt und als Entourage-Effekt benannt [15]. Als Inter-Entourage-Effekt werden Wechselwirkungen zwischen Cannabinoiden und nicht-cannabinoiden Pflanzeninhaltsstoffen wie Flavonoiden bezeichnet. Aktuell sind jedoch der Flavonoidstoffwechsel und Entourageeffekt der Cannabispflanze kaum untersucht [16].
Wundheilung
Auch bei der äußerlichen Anwendung von Cannabis-Zubereitungen kommt der Entourage-Effekt zum Tragen. Die Cannabinoide THC und CBD binden an in der Haut vorkommenden Cannabinoid-Rezeptoren und wirken so entzündungshemmend. Darüber hinaus haben sie über eine Erweiterung von Blutgefäßen einen durchblutungsfördernden und wundheilungsfördernden Effekt. Flavonoide fördern durch ihre entzündungshemmende und antioxidative Wirkung die Wundheilung.
Präklinische Studien zeigten: Quercetin fördert an Hautzellkulturen die Wundheilung durch erhöhte Spiegel bestimmter Wachstumsfaktoren. Die Kombination der Flavonoide Diosmin und Hesperidin hemmt die Ausbildung von vaskulären Zelladhäsionsmolekülen (VCAM), dem endothelialen interzellulären Adhäsionsmolelül 1 (ICAM-1) und anderer Adhäsionsmolekülen. Dadurch wirkt die Kombination auf die Venen und hat einen positiven Effekt auf Krampfadern.
Eine 2021 publizierte kanadische Studie zeigte, dass topische Cannabiszubereitungen mit Phytocannabinoiden, dem Terpen Beta-Caryophyllen und den Flavonoiden Quercetin, Diosmin und Hesperidin zusätzlich zur Behandlung mit Kompressionsstrümpfen die Heilung von Unterschenkelgeschwüren unterstützen kann. 14 Patient*innen mit insgesamt 16 Wunden wurden in die Studie eingeschlossen. Nach durchschnittlich einem Monat (34 Tagen) waren die Wunden bei 11 Personen mit 13 Geschwüren vollständig verschlossen. Die übrigen drei Personen wiesen einen fortgeschrittenen Heilungsprozess auf, konnten jedoch nicht nachbeobachtet werden [8].
Zahnheilkunde
Cannabis sativa wird seit Jahrtausenden auch in der Zahnmedizin verwendet und findet Erwähnung in alten Arzneibüchern der asiatischen, afrikanischen und indischen Medizin. Die Pflanze wurde bei Zahnschmerzen und möglicherweise auch bei Karies und Zahnfleischentzündungen (Gingivitis) angewendet.
Das Endocannabinoid-System ist auch im Mund aktiv. Durch das Vorhandensein von CB1-Rezeptoren in den Speicheldrüsen erklärt sich der trockene Mund als typische Nebenwirkung von THC. Die unter anderem entzündungshemmenden, schmerzlindernden, antioxidativen, antikanzerogenen, antimikrobiellen und angstlösenden Effekte von Cannabinoiden, Terpenen und Flavonoiden könnten therapeutisch bei Entzündungen im Mundraum, Mundhöhlenkrebs und Zahnarztangst genutzt werden.
Cannflavin A und B könnten wegen ihrer stark entzündungshemmenden Wirkung bei Zahnschmerzen helfen. Mundhöhlenkarzinome, die durch eine erhöhte Bildung von Sauerstoffradikalen gekennzeichnet sind, könnten von Flavonolen (z. B. Quercetin, Kämpferol), Flavanonen und Anthocyanen profitieren. Synthetische Antibiotika mit ihren Nebenwirkungen und der Gefahr der Resistenzbildung machen natürliche Zahnhygieneprodukte immer interessanter. Es gibt bereits Patente zu cannabisbasierten Zubereitungen zur Zahnhygiene und Therapie von Zahnerkrankungen [17].
Wirkungen weiterer Flavonoide und phenolischer Substanzen in Cannabis
Das Flavonoid Apigenin wirkt angstlösend und durch Hemmung von TNF-alpha antientzündlich. In Hautmodellen zeigte sich für Beta-Sitosterol eine antiödematöse Wirkung und lokale Entzündungshemmung: Topische Entzündungen gingen um 65 Prozent und chronische Ödeme (Wassereinlagerungen) um 41 Prozent zurück. Daneben gibt es noch weitere Phenole in Cannabis, über die allerdings viel weniger bekannt ist [9].
Andere phenolische Substanzen in Cannabis sind [9]:
- Stilbene
- Phenolische Amide
- Lignane
Fazit
Für die therapeutische Wirkung von Cannabis spielt der Entourage-Effekt eine wesentliche Rolle. Das Zusammenwirkungen von Phytocannabinoiden, Terpenen und Flavonoiden könnte die große Bandbreite an medizinischen Wirkungen erklären. Wissenschaftliche Studien zeigen zunehmend positive Belege für Medizinalcannabis bei chronischen Schmerzen und anderen Erkrankungen. Wie Flavonoide zur medizinischen Wirkung betragen, ist jedoch kaum erforscht. Computermodelle und Studien an Zellkulturen und an Tieren stimmen optimistisch. Klinische Studien mit Betroffenen werden den therapeutischen Nutzen der Flavonoide weiter untersuchen.
Diese Forschung wird zeigen, welche Wirkstoffverhältnisse zwischen Cannabinoiden, Terpenen und Flavonoiden für bestimmte Erkrankungen vorteilhaft sind. So wird die Wissenschaft mit der Zeit erkennen, wie diese Jahrtausende alte Heilpflanze über ihre diversen Substanzen bei krankhaften Prozessen einwirken kann. Möglicherweise wird es in Zukunft möglich sein, Cannabispflanzen zu züchten, die individuell auf Patient*innen bzw. auf bestimmte Erkrankung zugeschnitten sind.
Quellen:
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