Laut der Deutschen Depressionshilfe gehören Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Mehr als fünf Millionen erwachsene Deutsche zwischen 18 und 79 Jahren erkranken innerhalb eines Jahres an einer depressiven Störung (1). Diese Zahl erhöht sich noch um ein Vielfaches, wenn erkrankte Kinder, Jugendliche, Menschen über 79 Jahren sowie Menschen, die sich nicht in ärztliche Behandlung begeben, hinzugezählt werden.
Die Behandlung einer Depression erfordert meist die Kombination verschiedener Therapieformen wie einer Psychotherapie, medikamentösen Therapie sowie therapeutischen Maßnahmen (z. B. Bewegungstherapie). Cannabis als Medizin könnte eine ergänzende Therapiemaßnahme darstellen.
Depression: Was passiert im Gehirn?
Verschiedene Untersuchungen deuten darauf hin, dass bei einer Depression verschiedene Neurotransmitter aus dem Gleichgewicht geraten sind. Neurotransmitter sind Botenstoffe, wie zum Beispiel Dopamin, Noradrenalin, Serotonin und Gamma-Aminobuttersäure. Diese zeigen bei Patienten häufig eine erniedrigte Aktivität.
Hier setzen dann Antidepressiva an, die für eine Erhöhung der Neurotransmitter sorgen. Da Antidepressiva jedoch nicht bei allen Patienten wirken, wird angenommen, dass es bei der Ausprägung der Neurotransmitter-Störung individuelle Unterschiede gibt.
Darüber hinaus scheint auch das Stresshormon Cortisol bei einer depressiven Erkrankung eine wichtige Rolle zu spielen (2). Untersuchungen zufolge kann eine Depression die Erhöhung des Cortisol-Spiegels bewirken. Diese Überaktivität kann mit einem komplizierten System zusammenhängen, das die tieferliegenden Gehirnteile mit der Nebenniere verbindet. Aufgrund genetischer oder biografischer Einflüsse könnte dieses System derart verändert sein, dass Betroffene auf seelische Belastungen besonders intensiv reagieren. Infolge dessen kommt es zu einer erhöhten Cortisol-Ausschüttung.
Ursachen, Auslöser und Risikofaktoren
Eine genaue Ursache lässt sich in der Regel nicht ausfindig machen, da verschiedene Faktoren die Krankheitsentstehung bedingen. Oft sind es besonders belastende Ereignisse im Leben eines Menschen, die eine psychische Störung auslösen. Hierzu gehören unter anderem:
- Verluste in der Kindheit
- Missbrauch / Gewalterfahrungen
- Tod eines geliebten Menschen
- Beziehungsprobleme
- Probleme im beruflichen Umfeld
- lange Stressphasen bzw. lang andauernde Überforderung
Zudem können auch körperliche Erkrankungen, wie zum Beispiel Hormonstörungen oder schwere Krebserkrankungen, depressive Episoden auslösen. Außerdem kann eine genetische Veranlagung bei der Krankheitsentstehung mitverantwortlich sein.
Arten von Depressionen
Es existieren verschiedene Arten von Depression:
- Major Depression: Die “unipolare Depression” kommt am häufigsten vor und äußert sich mit Niedergeschlagenheit und/oder einem Verlust von Freude an alltäglichen Aktivitäten. Dabei können die Symptome leicht, mittelgradig und schwer sein. In schweren Fällen sind alle Bereiche des Lebens stark beeinträchtigt.
- Bipolare Störung (manisch-depressive Störung): Patienten erleben hier depressive oder manische Phasen. Jede Phase kann dabei unterschiedlich stark ausgeprägt sein und zwischen den Phasen erleben Patienten auch häufig eine symptomfreie Zeit. Die Manie ist das Gegenteil einer Depression. Zu den Symptomen zählen ein vermindertes Schlafbedürfnis, rasende Gedanken und schnelles Sprechen, Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit sowie das Gefühl, voller Energie zu sein. Einige Patienten verlieren auch den Kontakt zur Realität und entwickeln psychotische Zustände (z. B. Wahnvorstellungen oder Halluzinationen).
- Zyklothyme Störung: Bei dieser Störung handelt es sich um eine weniger ausgeprägte Form der bipolaren Störung. Patienten leiden unter chronischen Stimmungsschwankungen, wobei sich die Phasen einer leichten bis mittelgradigen Manie (Hypomanie) mit den Phasen einer depressiven Episode abwechseln.
- Psychotische Depression: Patienten können im Rahmen einer depressiven Erkrankung eine Psychose entwickeln, die sich dann mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Größenideen und/oder paranoidem Verhalten äußert.
- Pränatale und postnatale Depression: Sowohl während der Schwangerschaft (pränatale Zeit) als auch nach der Geburt (postnatale Zeit) haben Frauen ein erhöhtes Depressionsrisiko. Die Ursachen sind häufig ein Zusammenspiel aus unterschiedlichen Faktoren.
- Dysthymie (neurotische Depression): Hier zeigen sich die gleichen Symptome wie bei einer Major Depression. Allerdings ist die Symptomatik weniger stark ausgeprägt. Dafür halten die Beschwerden länger an. Mediziner gehen von einer Dysthymie aus, wenn ein Patient über zwei Jahre unter milden Symptomen leidet.
- Herbst-Winter-Depression (Winterblues): Die depressive Symptomatik tritt in den dunklen Jahreszeiten auf, wobei die Ursachen unklar sind. Es wird davon ausgegangen, dass die Entstehung mit den Lichtveränderungen der unterschiedlichen Jahreszeiten zusammenhängt.
Welche Symptome können auftreten?
Zu Beginn der Erkrankung können die meisten Patienten ihre Beschwerden nicht einordnen und berichten ihrem Arzt von uncharakteristischen Symptomen wie:
- Schlafstörungen
- Müdigkeit
- Stimmungsschwankungen / schlechte Laune
- Konzentrationsstörungen
- Hoffnungslosigkeit
- Verzweiflung
- Apathie
- innere Leere
- Antriebslosigkeit
- Lustlosigkeit
- Interessenlosigkeit
Typisch für die Krankheit ist vor allem, dass sich die Betroffenen unfähig fühlen, ihren Alltag zu meistern und sich zu allem zwingen müssen – selbst zu angenehmen Tätigkeiten. Infolge dessen vernachlässigen sie ihre Familie, soziale Kontakte, den Beruf sowie alltägliche Verrichtungen.
Das internationale Klassifikationssystem ICD-10 nennt als Hauptsymptome eine depressive Stimmung, Freudlosigkeit, Interessenverlust, erhöhte Ermüdbarkeit sowie Antriebsmangel. Häufige Zusatzsymptome können Konzentrations-/Aufmerksamkeitsstörungen, Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit, ein vermindertes Selbstwertgefühl/Selbstvertrauen, negative Zukunftsvorstellungen, Schlafstörungen und Appetitmangel sowie Selbsttötungsgedanken/-handlungen sein.
Depressive Patienten leiden mindestens unter zwei Symptomen aus beiden Gruppen, wobei die Ausprägung schwanken kann.
Darüber hinaus können auch körperliche Beschwerden die Erkrankung begleiten, wie beispielsweise ein Druckgefühl auf der Brust, Atembeschwerden oder unspezifische Schmerzen.
Therapie von depressiven Störungen
Bei der Behandlung depressiver Erkrankungen steht die psychotherapeutische Behandlung im Vordergrund. Ein häufig genutztes psychotherapeutisches Verfahren ist die kognitive Verhaltenstherapie, in der die Betroffenen über die Krankheit ausführlich aufgeklärt werden und entsprechende Bewältigungsstrategien erlernen. Auch therapeutische Maßnahmen wie eine Bewegungs- oder Ergotherapie können zur Linderung depressiver Symptome beitragen.
Therapie mit Medikamenten
Je nach Schwere der psychischen Erkrankung ist eine medikamentöse Therapie angezeigt. Erstes Mittel der Wahl sind Antidepressiva, die eine stimmungsaufhellende, angstlösende und beruhigende Wirkung haben sollen. Unterschieden wird zwischen den folgenden Antidepressiva:
Wirkungsort | Indikationen | |
Trizyklische Antidepressiva (TZA)
|
Wirkung am serotonergen und noradrenergen System. Wirkstoffe greifen in mehrere Neurotransmittersysteme gleichzeitig ein. | Depressionsbehandlung, Zwangsstörungen, Angst- und Panikstörungen |
Tetrazyklische Antidepressiva | Weiterentwicklung der TZA, wirken stärker auf den Noradrenalin-Stoffwechsel. | Depressionsbehandlung, Zwangsstörungen, Angst- und Panikstörungen |
Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) | Blockierung der Serotonintransporter, um dadurch die Serotonin-Konzentration zu erhöhen. | Depressionsbehandlung, Zwangsstörungen, Angst- und Panikstörungen |
Selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NARI) | Wirkung am Noradrenalin-Transporter im Gehirn, Hemmung der Wiederaufnahme des Neurotransmitters. | Schwere Depression |
Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI oder SNRI) | Wirkung im zentralen Nervensystem durch das Eingreifen in den Serotonin- und Noradrenalin-Stoffwechsel. | Angst- und Panikstörungen |
Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer) | Blockierung der Monoaminooxidase (Enzyme, die Serotonin, Noradrenalin und Monoamine aufspalten). | Schwere Depression |
Nebenwirkungen von Antidepressiva
Antidepressiva können unerwünschte Nebenwirkungen haben. Besonders häufig treten folgende Nebenwirkungen auf:
- Mundtrockenheit
- starkes Schwitzen/Nachtschweiß
- Appetitmangel
- Gewichtszunahme
- Schwindel
- Müdigkeit/Schlafstörungen
- Magen-Darm-Beschwerden
- sexuelle Funktionsstörungen
Therapie mit Antidepressiva: Wie wirksam sind die Medikamente?
Die Wirkung von Antidepressiva wurde in vielen Studien untersucht und sind auch heute noch Gegenstand von aktuellen Untersuchungen. Zwar zeigten einige Studien die positive Wirkung von Antidepressiva, andere belegen hingegen eine unzureichende Wirkung.
In diesem Zusammenhang ist besonders die Meta-Analyse des britischen Wissenschaftlers Irving Kirsch interessant (3). Im Ergebnis heißt es, dass die untersuchten SSRIs bei leichten Depressionen nicht besser wirkten als ein Placebo. Auch bei schweren Depressionen zeigt sich nur ein geringer Effekt.
Forscher aus Dänemark kamen nach der Auswertung von 522 Einzelstudien zur Wirksamkeit von Antidepressiva zu dem Ergebnis, dass diese deutlich besser wirkten als Placebos (4). Eine Neubewertung der gleichen Daten erbrachte wiederum ein gegenteiliges Ergebnis (5).
Aufgrund der widersprüchlichen Datenlage aus klinischen Studien ist es bisher nicht möglich, eine klare Aussage zur Wirksamkeit von Antidepressiva zu treffen.
Medizinisches Cannabis als alternative Behandlungsoption
Da die Wirksamkeit von Antidepressiva umstritten ist und viele depressive Patienten unter den Nebenwirkungen der Medikamente leiden, sind neue medikamentöse Behandlungsoptionen notwendig.
Das Endocannabinoid-System ist mit dem Serotoninsystem verknüpft. So legen verschiedene Studien nahe, dass ein Mangel an Endocannabinoiden für die Entstehung von depressiven Episoden mitverantwortlich sein könnte. Es wäre demnach theoretisch möglich, diesen Mangel mit der Gabe von Cannabinoiden auszugleichen.
Die Zusammenhänge zwischen Cannabis und einer Depression sind jedoch viel komplizierter und trotz zahlreicher Studien lassen sich hieraus noch keine eindeutigen Aussagen ziehen, ob der Einsatz von medizinischem Cannabis bei Depressionen indiziert ist.
Verschiedenen Studien zufolge ist insbesondere bei Menschen mit einem langjährigen Konsum von Cannabis für Freizeitzwecke eine Therapie mit medizinischem Cannabis bei einer depressiven Episode nicht angezeigt. In einer Studie wurden der chronische Cannabiskonsum und Depressionen mit Veränderungen an den 5-HT-Rezeptoren in Verbindung gebracht, sodass sich die depressive Symptomatik verschlechtern könnte (6).
Zur Wirksamkeit von Cannabis als Medizin ist eine Studie hervorzuheben, die an der Universidad de Cantabria durchgeführt wurde. Hier untersuchten die Forscher das potenzielle Wirkungsspektrum der beiden wichtigsten Cannabinoide Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) auf eine depressive Symptomatik (7). Insbesondere das Cannabinoid CBD zeigte das Potenzial, ein wirksames Medikament zu sein, da das Cannabinoid an die 5-HT1A-Rezeptoren (Serotonin-Rezeptoren) bindet.
Zu dem gleichen Ergebnis kamen auch Forscher der University of Rio de Janeiro in Brasilien (8). Sie analysierten zahlreiche Studien an Tiermodellen zur angstlösenden und antidepressiven Wirkung von CBD und führten aus, dass CBD eine positive Wirkung zeigte. Dabei führten die Forscher diese auf eine Nichtaktivierung der Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 sowie auf eine Wechselwirkung mit den 5-HT1A-Rezeptoren zurück.
In niedriger Dosierung scheint auch das psychoaktive Cannabinoid THC eine antidepressive Wirkung entfalten zu können. So wurde in einer Studie festgestellt, dass niedrig dosiertes THC den Serotoninspiegel erhöhte. In einer höheren Dosis jedoch reduzierte (9). Die Forscher führten dieses Ergebnis darauf zurück, dass THC ein zweiphasiges Wirkungsmuster besitzt. So kann das Cannabinoid in niedrigen und hohen Dosen gegenteilig wirken.
Fazit
Für die Therapie von depressiven Episoden stehen zahlreiche verschiedene therapeutische Maßnahmen und Medikamente zur Verfügung, die bei dem Großteil der Betroffenen wirksam ist. An erster Stelle sollten hier stets psychotherapeutische Behandlungen stehen. In schweren Fällen kann eine zusätzliche medikamentöse Behandlung angezeigt sein. Sollten diese verfügbaren klassischen Therapien nicht ausreichend sein, könnte Cannabis als Medizin eine Therapieoption darstellen.
(1) Jacobi F, Wittchen H-U, Holting C, Höfler M, Pfister H, Müller N, Lieb R. Prevalence, co-morbidity and correlates of mental disorders in the general population: results from the German Health Interview and Examination Survey (GHS). Psychol Med. 2004 May;34(4):597-611. doi: 10.1017/S0033291703001399. PMID: 15099415
(2) Dienes KA, Hazel NA, Hammen CL. Cortisol secretion in depressed, and at-risk adults. Psychoneuroendocrinology. 2013;38(6):927-940. doi:10.1016/j.psyneuen.2012.09.019
(3) Kirsch I. Antidepressants and the placebo response. Epidemiol Psichiatr Soc. 2009 Oct-Dec;18(4):318-22. doi: 10.1017/s1121189x00000282. PMID: 20170046
(4) Jakobsen, J.C., Katakam, K.K., Schou, A. et al. Selective serotonin reuptake inhibitors versus placebo in patients with major depressive disorder. A systematic review with meta-analysis and Trial Sequential Analysis. BMC Psychiatry 17, 58 (2017). https://doi.org/10.1186/s12888-016-1173-2
(5) Munkholm K, Paludan-Müller AS, Boesen K, Considering the methodological limitations in the evidence base of antidepressants for depression: a reanalysis of a network meta-analysis, BMJ Open 2019;9:e024886. doi: 10.1136/bmjopen-2018-024886
(6) Manrique-Garcia E, Zammit S, Dalman C, Hemmingsson T, Allebeck P. Cannabis use and depression: a longitudinal study of a national cohort of Swedish conscripts. BMC Psychiatry. 2012;12:112. Published 2012 Aug 16. doi:10.1186/1471-244X-12-112
(7) Linge R, Jiménez-Sánchez L, Campa L, Pilar-Cuéllar F, Vidal R, Pazos A, Adell A, Díaz Á. Cannabidiol induces rapid-acting antidepressant-like effects and enhances cortical 5-HT/glutamate neurotransmission: role of 5-HT1A receptors. Neuropharmacology. 2016 Apr;103:16-26. doi: 10.1016/j.neuropharm.2015.12.017. Epub 2015 Dec 19. PMID: 26711860
(8) de Mello Schier AR, de Oliveira Ribeiro NP, Coutinho DS, Machado S, Arias-Carrión O, Crippa JA, Zuardi AW, Nardi AE, Silva AC. Antidepressant-like and anxiolytic-like effects of cannabidiol: a chemical compound of Cannabis sativa. CNS Neurol Disord Drug Targets. 2014;13(6):953-60. doi: 10.2174/1871527313666140612114838. PMID: 24923339
(9) McGill University. „Cannabis: Potent Anti-depressant In Low Doses, Worsens Depression At High Doses.“ ScienceDaily. ScienceDaily, 24 October 2007. www.sciencedaily.com/releases/2007/10/071023183937.htm